Die Musen in der Kunst – Quellen der Inspiration

Die Musen in der Kunst – Quellen der Inspiration

15.06.23
ars mundi

Mindestens so alt wie die Kunst selbst ist die Frage, wo die Kunstschaffenden ihre Inspiration für ihre Werke finden. Eine häufige Antwort darauf lautet, dass die Ideen nicht ausschließlich ihrem eigenen Geist entspringen, sondern maßgeblich auch von anderen Menschen hervorgerufen werden – den Musen. Zumindest ist von vielen kreativen Köpfen wie Auguste Renoir, Gustav Klimt, Salvador Dalí, Pablo Picasso oder Andy Warhol bekannt, dass bei ihrer künstlerischen Arbeit eine Muse eine bedeutende Rolle spielte. Durch ihre pure Präsenz und Ausstrahlung gelingt es diesen Frauen und Männern, die Kunstschaffenden anzuspornen und ihre Schaffenskraft zu fördern.

Was letztlich eine Muse ausmacht, ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Wohl auch, weil ihre Rolle nicht klar definiert ist, umweht die Musen immer etwas Legendenhaftes, Mystisches und Schillerndes. Tatsache aber ist, dass Kunstschaffende sich bis heute gerne mit Musen umgeben und diese eine starke Wirkung auf den künstlerischen Prozess haben.

Ihren Ursprung hat die Vorstellung von einer Person, die sich positiv auf die Produktivität von Kunstschaffenden auswirkt, in der Antike. Aus der altgriechischen Mythologie ist überliefert, dass aus einer Liaison des Göttervaters Zeus mit Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung, neun Töchter hervorgingen. Jede Tochter war für einen eigenen Bereich der Künste zuständig, zum Beispiel Lyrik, Tanz, Wissenschaft, Astronomie, Komödie, Philosophie oder Dichtung. Diese neun Musen fungierten als Schutzgöttinnen der Künste und verhalfen den Gelehrten und Künstlern zur Inspiration. In Anlehnung an diese Sage werden bis heute Personen als Musen bezeichnet, die auf welche Art auch immer einen positiven Einfluss auf Künstlerinnen und Künstler haben.

Die Musen in der Kunst - 'Die Dame mit dem Hermelin' von Leonardo da Vinci

Die Funktion einer Muse kann vom Modell bis zum Management reichen

Was ist eine Muse für einen Künstler? Diese Frage lässt sich nicht leicht und vor allem nicht eindeutig beantworten, denn der Begriff der Muse umfasst mehrere, zum Teil sehr verschiedene Formen von Beziehungen zwischen zwei Menschen. Letztlich bezeichnet der Begriff der Muse ein eher metaphysisches Phänomen und ist dabei wenig trennscharf zu anderen Bezeichnungen wie Modell, Liebhaber(in) oder Freund(in).

Der wohl zentrale Aspekt im Konzept der Muse ist die Funktion als Triebfeder und Quelle der Inspiration für Kunstschaffende. Eine Muse vermag es, allein durch ihre pure Anwesenheit und Aura dafür zu sorgen, dass die Kreativität angeregt und die Produktivität gesteigert wird. Sie lässt die Ideen sprudeln und spornt zu immer neuen Höchstleistungen an – vielleicht auch manchmal in schweren Zeiten. Worin dieses Talent aber besteht und wo die Musen ihre Kraft und ihre Fähigkeit zur Einflussnahme und Stimulation der Sinne beziehen, lässt sich objektiv kaum bestimmen. Aber augenscheinlich sind die Musen in der Lage, die Kunstschaffenden dazu zu bringen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen.

Wegen der großen Nähe der Musen zu Künstlerinnen und Künstlern gehört zu den häufigen Assoziationen die des Modells. Modell und Muse können ein und dieselbe Person sein, eine Muse muss aber nicht zwingend Modell stehen, ebenso wenig handelt es sich bei Modellen immer um die Musen von Künstlerinnen und Künstlern. Allerdings gibt es auffallend viele Beispiele für Werke von Musen in der Kunst, in denen die Muse ganz konkret als Vorbild für ein Kunstwerk diente und in diesem mehr oder weniger offensichtlich abgebildet ist. Vielen Porträts bekannter Persönlichkeiten der Kunstgeschichte liegt ein Musen-Maler-Verhältnis zugrunde.

Die positive Einflussnahme auf die Kunstschaffenden kann aber noch weit über die Rolle als Modell hinausgehen. So schätzen viele Künstlerinnen und Künstler ihre Musen als Gesprächspartnerin oder -partner und pflegen mit ihnen einen regen intellektuellen Austausch. Manche Musen übernehmen sogar die Funktion einer Managerin oder eines Managers. Sie stehen den Kunstschaffenden mit Rat und Tat zur Seite und kümmern sich um organisatorische und finanzielle Belange. Nicht zuletzt hier zeigt sich, dass die Musen im Verhältnis zu den Kunstschaffenden oftmals einen sehr starken Part übernehmen.

Die Künstlerinnen und Künstler sind häufig sehr von ihren Musen fasziniert und verehren sie zum Teil abgöttisch. Oftmals dauert die Zusammenarbeit viele Jahre und gipfelt auch nicht selten in einer Liebesbeziehung, wenn nicht sogar in der Ehe. Nicht unüblich ist es aber auch, dass sich Kunstschaffende im Laufe ihrer Karriere mit verschiedenen Musen umgeben.

Die Musen in der Kunst - 'Kauernde Japanerin' von Gerorg Kolbe

Die Muse in der Kunst – eine Konstante in der Kunstgeschichte

In der Regel sind die Namen der Musen meist nicht so geläufig wie die der Kunstschaffenden, die sie unterstützen. Dennoch sind sie für die Kunstgeschichte von größter Bedeutung, denn sie dienten berühmten Künstlerinnen und Künstlern nicht nur als Motiv, sondern hatten maßgeblichen Anteil daran, dass die Kunstschaffenden produktiv und kreativ arbeiten konnten. Beispiele dafür lassen sich in der Kunstgeschichte zuhauf finden, wobei jede der Ateliers-Beziehungen ihre ganz individuelle Geschichte hat.

Die Muse als Inspiration für Auguste Rodin

So pflegten beispielsweise der französische Bildhauer Auguste Rodin und Camille Claudel ein Verhältnis, das sich über viele Jahre hinweg entwickelte und verschiedene Facetten hatte. Claudel und Rodin trafen sich 1883 an der Kunstakademie in Paris, an der Rodin Bildhauerei lehrte und Claudel seine Kurse besuchte. Bald darauf saß sie ihm Modell für verschiedene Skulpturen, unterstützte ihn aber auch als seine Assistentin im Atelier. Aus der Zusammenarbeit entwickelte sich eine Liebesbeziehung, die zehn Jahre lang dauern sollte. Als diese zerbrach, verarbeitete Rodin dieses Erlebnis ebenfalls in seinen Werken. In Würdigung ihrer großen Bedeutung für die Kunstgeschichte – auch als eigenständige Künstlerin – wurde Camille Claudel im Jahr 2017 ein eigenes Museum in Nogent-sur-Seine gewidmet.

Edie Sedgwick als berühmte Muse von Andy Warhol

Gänzlich anders stellte sich das Musen-Künstler-Verhältnis im Fall von Edie Sedgewick und Andy Warhol dar. Bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen im Januar 1965 war Warhol von dem jungen Model fasziniert. Es begann eine intensive, aber rein platonische Zusammenarbeit für verschiedene Projekte, vor allem Filme. Bereits im August 1965 begann es zwischen den beiden aber aufgrund von Streitigkeiten um Finanzen und den exzessiven Drogenkonsum Sedgewicks zu kriseln. Anfang 1966 gingen sie schon wieder getrennte Wege.

Die Musen in der Kunst - 'Bildnis der Emilie Flöge' von Gustav Klimt

Die Muse in der Malerei – Gustav Klimt und Emilie Flöge

Eine wiederum sehr enge persönliche Beziehung zwischen Maler und Muse hingegen soll einem der wichtigsten Gemälde des Jugendstils zugrunde liegen. In dem Gemälde "Der Kuss" soll der österreichische Maler Gustav Klimt sich und seine Muse und Lebensgefährtin Emilie Flöge abgebildet haben. Bereits zuvor hatte Flöge – später selbst eine erfolgreiche Modedesignerin und Unternehmerin – für verschiedene Gemälde Klimts Modell gestanden. Für die These, dass Adele Bloch-Bauer, die Klimt in seinem weltberühmten Gemälde aus dem Jahr 1907 malte, eventuell mehr war als nur sein Modell, gibt es hingegen keine hinlänglichen Beweise.

Wie in diesen Beispielen übernimmt oftmals eine Frau den Part der Muse, doch es lassen sich durchaus auch Beispiele für männliche Musen nennen. So heißt es, die französische Impressionistin Morisot Berthe habe Eugène Manet, ihren Ehemann und Bruder von Édouard Manet, als Muse gehabt. Zumindest existieren zahlreiche Gemälde, in denen Morisot Eugène Manet gemalt hatte.

Ob männliche oder weibliche Muse – fest steht, dass viele heute berühmte Künstlerinnen und Künstler ohne ihre Musen nicht zu dem geworden wären, was sie sind.

Die Musen in der Kunst - 'Lightning Hopkins' von Jürgen Born