Krisenfest - Die griechische Bildhauerei

Krisenfest - Die griechische Bildhauerei

13.01.22
ars mundi

Alfred North Whitehead hat in einem vielzitierten Bonmot einmal die Geschichte der europäischen Philosophie als "eine Reihe von Fußnoten zu Platon" beschrieben. Für die europäische Kunstgeschichte ließe sich durchaus Vergleichbares formulieren: Platons Zeitgenossen haben sie so tief geprägt, dass über die Jahrhunderte hinweg die griechische Plastik etwa eines Phidias, Praxiteles oder Lysipp als nachzueiferndes, unerreichbares Vorbild galt. Die anatomische Präzision beim Torso eines Waldgottes, der perfekt aus dem Stein gearbeitete Faltenwurf der Nike von Samothrake und die "erzählende" Darstellung des Götterstreits zwischen Athene und Poseidon auf dem Westgiebel des Parthenon sind selbst als Replikate überaus beeindruckend.

Ungezählte Generationen nahmen Kunstwerke wie diese zum Vorbild. Das gilt für die großen Meister der Renaissance ebenso wie für die Bildhauer des 18. und 19. Jahrhunderts (zum Beispiel Johann Gottfried Schadow, sein Doppelporträt von Friederike und Luise von Mecklenburg-Strelitz, nachmalige Königin von Preußen). Auguste Rodin sah in den alten Griechen seine Lehrmeister. Und auch die Zeitgenossen setzen sich noch mit ihnen auseinander. Und manchmal ist es sogar so, dass ein Kunstwerk sein "Griechentum" erwirbt, indem es ein anderes, von der griechischen Antike inspiriertes Kunstwerk zitiert.