Die Brücke Künstler: Pioniere des Expressionismus

Die Brücke Künstler: Pioniere des Expressionismus

24.08.23
ars mundi

Es waren keine Maler oder Bildhauer, die Anfang des 20. Jahrhunderts für tiefgreifende Veränderungen in der Kunst sorgten, sondern Architekturstudenten: 1905 gründeten Karl Schmidt-Rottluff, Fritz Bleyl, Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel in Dresden die Künstlergruppe "Brücke". Sie wandten sich von der konservativen akademischen Lehrmeinung ab und entwickelten ein grundlegend neues künstlerisches Konzept. In dessen Fokus stand nicht mehr eine Abbildfunktion der Kunst. Stattdessen sollte sie das subjektive Empfinden der Künstler transportieren.

Als wesentliche Merkmale des Brücke-Stils gelten die radikal reduzierte Formensprache und die leuchtenden Farben. Der Expressionismus der Brücke prägte nachhaltig die Kunst der Moderne und sollte noch viele weitere Künstlergenerationen des 20. Jahrhunderts beeinflussen.

Der Werdegang der Brücke: von Dresden nach Berlin

Die Geschichte der Künstlergemeinschaft Brücke beginnt in Dresden kurz nach der Jahrhundertwende. An der dortigen Technischen Hochschule kreuzten sich die Wege der Architekturstudenten Karl Schmidt-Rottluff, Fritz Bleyl, Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel. Über ihren Studiengang hinaus einte die vier ein großes Interesse an der Malerei und der Lithografie. Allerdings betrachteten sie die Kunst ihrer Zeit sehr kritisch und strebten nach zeitgemäßen Veränderungen des Stils.

Um ihrem künstlerischen Schaffen einen institutionellen Rahmen zu geben, gründeten sie im Juni 1905 die "Brücke". Unter diesem Titel mieteten sie gemeinsame Atelierräume an, organisierten die ersten Ausstellungen und warben auch neue Mitglieder an. Zu den prominentesten gehörten Max Pechstein und Emil Nolde, die 1906 zur Brücke stießen, außerdem traten u.a. auch Otto Mueller, Kees van Dongen und Cuno Amiet bei.

Die erste große gemeinsame Ausstellung der Brücke Künstler öffnete am 24. September 1906 in einer Lampenfabrik von Karl-Max Seifert ihre Tore. 1911 siedelte die Künstlergemeinschaft von Dresden nach Berlin über. Die Hauptstadt hatte sich bereits damals zu einem Zentrum für zeitgenössische Kunst entwickelt und bot den Künstlern mehr Möglichkeiten für Ausstellungen und Handel. Zudem ergaben sich hier auch neue Kontakte zu anderen Avantgardistinnen und Avantgardisten, die die Brücke Künstler inspirierten und beeinflussten. Über die Jahre herrschte allerdings auch eine gewisse Fluktuation unter den Mitgliedern. So hatten Fritz Bleyl und auch Emil Nolde die Gruppe nach kurzer Zeit wieder verlassen.

1913 schließlich löste sich die Brücke gänzlich auf. Ausschlaggebend dafür soll gewesen sein, dass Kirchner sich mehr und mehr als Kopf der Gruppe verstand und seine Kollegen abschätzig behandelte. Nach ihrer Auflösung arbeiteten alle ehemaligen Brücke-Mitglieder weitestgehend unabhängig voneinander weiter.

 

 

Die Kunst sollte das subjektive Empfinden erfahrbar machen

Die vier jungen Architekturstudenten aus Dresden, die zu den Pionieren des Expressionismus werden sollten, hatten alle keine künstlerische Ausbildung an einer Akademie durchlaufen. Vielleicht lässt es sich so erklären, dass sie besonders unvoreingenommen und kritisch auf die Kunst ihrer Zeit blicken konnten. Sie kamen zu dem Schluss, dass die traditionellen Maximen für Malerei und Bildhauerei nicht auszudrücken vermochten, was ihnen wichtig war. Die in dieser Phase populären Stile wie Impressionismus und Historienmalerei waren immer noch sehr der realistischen Abbildung des Objektiv-sichtbaren verpflichtet.

Eine natürliche Darstellungsweise, die rein auf oberflächlichen Beobachtungen beruht, hielten die Brücke Künstler aber für sinnlos. Sie wollten die bildende Kunst vielmehr zu einem Werkzeug machen, um ihren individuellen Wahrnehmungen und Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Dabei sollte in den Werken die Leidenschaft der Kunstschaffenden unmittelbar spürbar werden und eine emotionale Verbindung zu den Betrachtenden entstehen. Um diese Ziele zu erreichen, suchten die Brücke Künstler nach neuen Formen des künstlerischen Ausdrucks und stellten dafür alle vorhandenen formalen Regeln infrage.

Über ein umfangreiches theoretisches Manifest, wie es beispielsweise der "Blaue Reiter" mit seinem Almanach vorlegte, verfügte die Brücke allerdings nicht. Das "Programm" bestand aus einem 74 x 41 Millimeter großen Holzschnitt, den Ernst Ludwig Kirchner angefertigt hatte. Auf dem Druck war zu lesen:

"Mit dem Glauben an Entwicklung an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt."

Farbstark und impulsiv: Der Stil der Brücke Künstler

Das erklärte Ziel der Brücke Künstlergruppe war es, in den Kunstwerken das Leben mit all seinen Facetten unverfälscht und unmittelbar abzubilden. Dabei gingen die Expressionisten sowohl gestalterisch als auch thematisch neue Wege. In ihrer Bild- und Formensprache entfernten sie sich radikal vom naturalistischen Detailreichtum vorangegangener Epochen. Stattdessen reduzierten sie die Formen und Details der Bildgegenstände auf wenige charakteristische Merkmale. Außerdem betonten sie die Konturen der Bildobjekte, indem sie sie sehr markant definierten und mit kräftigen Farbkontrasten voneinander abgrenzten.

In ihrer Emotionalität stellten sie ihre Motive darüber hinaus häufig übersteigert und verfremdet dar. Auch andere traditionelle Prinzipien der Malerei wie die Zentralperspektive oder eine räumlich korrekte Bildkomposition lehnten die Brücke Künstler ab. Sie gaben sich den größtmöglichen gestalterischen Spielraum und setzten alle Bildelemente gleichberechtigt auf eine Ebene.

Außerdem gewannen in der Malerei der Expressionisten die Farben an Bedeutung. Diese galten ihnen nicht mehr nur als Material oder Mittel zum Zweck, sondern erhielten einen Eigenwert und wurden geradezu inszeniert. Die Brücke Maler verwendeten vorwiegend intensive Farben, die sie monochrom in großen Flächen auftrugen.

Darüber hinaus lösten sich die Künstler auch von der realitätsgetreuen Zuordnung der Farben zu den Gegenständen und kolorierten die Bildobjekte frei nach ihrem Gefühl. Mit ihrem progressiven Malstil bewegten sich die Expressionisten nicht selten im Grenzbereich zu anderen Disziplinen wie Kubismus, Karikatur und Abstraktion.

Bei den Motiven setzten die Brücke Künstler neue Schwerpunkte

Wie bei der Form des künstlerischen Ausdrucks legten sie auch hier Wert auf Natürlichkeit und Ursprünglichkeit. In Natur-, Landschafts- und Aktdarstellungen feierten sie das Leben und die Freiheit. Ihre Inspiration sammelten sie oftmals bei gemeinsamen Ausflügen an die Küsten von Nord- und Ostsee oder an die Moritzburger Teiche.

Nach der Übersiedlung der Brücke-Künstler nach Berlin kamen verstärkt urbane Szenen hinzu. In Bildern von mondänen Gesellschaften, Straßenszenen, Tanzlokalen und Varietés spiegelten sie das umtriebige Großstadtleben. Unter dem Eindruck der Modernisierung und der Hektik der Metropole verdüsterte sich zudem die Grundstimmung in den Werken vieler Brücke-Künstler und sie thematisierten immer häufiger Empfindungen wie Einsamkeit oder Angst.

Die Brücke Künstler veränderten den kreativen Schaffensprozess

Die Brücke Maler entwickelten nicht nur eine neue Bildsprache, sondern veränderten auch den gesamten kreativen Schaffensprozess. Häufig malten sie intuitiv, impulsiv, schnell und mit einem breiten Pinselstrich. So konnten sie ihrer Eingebung unmittelbar Ausdruck verleihen.

Neben der Malerei gewann unter den Expressionisten außerdem eine weitere Technik an Bedeutung: der Holzschnitt. Dieses jahrhundertealte Verfahren kam ihrer Philosophie sehr entgegen. Ihre gestalterischen Ziele konnten sie im Holzschnitt mit kräftigen Konturen, großen Flächen, deutlichen Kontrasten und einer Stilisierung der Objekte sehr gut umsetzen.

 

 

Die Brücke Künstlergruppe: ein Meilenstein der Kunstgeschichte

Die Arbeit der Brücke-Künstler gilt heute als eine der wichtigsten Positionen der Kunstgeschichte. Noch viele Jahre vor dem "Blauen Reiter" im Raum München konnte die Brücke entscheidende Impulse für den Wandel der Malerei der Moderne setzen.

Wie so oft bei avantgardistischen Künstlern galt auch die Brücke zunächst als zu progressiv und provokant. Angeprangert wurden vor allem die nach allgemeinem Empfinden unnatürliche, wenig harmonische und unruhige Darstellungsweise ("eine Vergewaltigung der Sinneswelt" – Kunstkritiker Hermann Bahr, 1914). Auch die häufigen Aktdarstellungen fielen unangenehm auf. Trotz anfänglicher Kritik fand der Expressionismus in den Folgejahren aber immer mehr Anhänger auch unter den Zeitgenossen. Ernst Ludwig Kirchner beispielsweise nahm noch zu Lebzeiten regelmäßig an Ausstellungen in Deutschland und der Schweiz teil und konnte zahlreiche Werke verkaufen.

In den folgenden Jahrzehnten etablierten sich die revolutionären Veränderungen der Brücke-Kunst und beeinflussten viele andere Kunstströmungen auf der ganzen Welt. Stile wie Abstraktion, Abstrakter Expressionismus oder Neo-Expressionismus hatten ihre Wurzeln unmittelbar im Expressionismus der Brücke.

Auch in der Gegenwart erfreuen sich die Werke von Kirchner, Schmidt-Rottluff, Bleyl und Heckel immer noch großer Beliebtheit. Die Originale aller Brücke-Künstler sind sowohl in Ausstellungen als auch bei Sammlern sehr gefragt und werden hoch gehandelt. Zudem ist mit dem "Brücke-Museum" in Berlin, das Karl Schmidt-Rottluff noch selbst ins Leben gerufen hatte, den Pionieren des Expressionismus ein eigenes Ausstellungshaus gewidmet.