Pop-Art: Als aus Alltagskultur Kunst wurde

Pop-Art: Als aus Alltagskultur Kunst wurde

01.06.23
ars mundi

Bunt, grell und ohne Respekt vor dem Kunst-Establishment: Ab Ende der 1950er-Jahre stellte die Pop-Art die Kunstwelt auf den Kopf. Ihre Künstlerinnen und Künstler hinterfragten nahezu alle Parameter der bildenden Kunst – von den Motiven und Themen über den Stil und die Ästhetik bis hin zur Rolle und Funktion der Kunst innerhalb der Gesellschaft. Sie suchten ihre Motive und ihre Inspiration vorwiegend in den Dingen des alltäglichen Lebens wie in Medieninhalten, Werbung, Comics oder Konsumartikeln. Aus der Pop-Art gingen zahlreiche berühmte Werke hervor, zum Beispiel Robert Indianas LOVE-Skulptur, Roy Lichtensteins Comic-Hommagen und Andy Warhols Siebdrucke von Marilyn Monroe sowie seine legendäre "Campbell’s Soup Can".

Der bahnbrechende Stil der Pop-Art griff auch auf viele Bereiche außerhalb der Kunst über und entwickelte sich zu einer Art neuen Universalsprache für die Gestaltung. Sowohl in der Mode, in der Grafik und der Illustration, im Design und in vielen weiteren Bereichen der Popkultur der 1960er-Jahre fanden sich die Einflüsse der Pop-Art wieder. Anfang der 1970er-Jahre war ihre Hochphase vorbei, doch ihr Geist wirkte lange nach. Für viele Künstlerinnen und Künstler war diese Epoche mit ihrer innovativen Ästhetik noch Jahrzehnte später eine große Inspirationsquelle. So lassen sich zum Beispiel in den Werken von Keith Haring, Jean Basquiat, Nikki de Saint-Phalle, James Rizzi, Jeff Koons oder Mr. Brainwash die Spuren der Pop-Art bis in die zeitgenössische Kunst hinein nachzeichnen.

Andy Warhol: Bild "Shot Orange Marilyn"

Ursprung in Großbritannien, Durchbruch in den USA

Die Pop-Art Künstlerinnen und Künstler und ihre Werke werden häufig als ein US-amerikanisches Phänomen gesehen, doch ihre Wurzeln liegen im Großbritannien Anfang der 1950er-Jahre. Zu dieser Zeit fand sich am Londoner "Institute of Contemporary Arts" eine Künstlergruppe unter dem Namen "Independent Group" zusammen. Diese setzte sich kritisch mit den Folgen des wirtschaftlichen Aufschwungs in vielen Ländern der Welt auseinander. Dieser Verbund vereinte Kunstschaffende aus verschiedenen Disziplinen. Malerinnen und Maler sowie Bildhauerinnen und Bildhauer waren hier ebenso vertreten wie Architektinnen und Architekten sowie Kuratorinnen und Kuratoren – unter ihnen Namen wie Lawrence Alloway, Richard Hamilton oder Eduardo Paolozzi.

Ziel der Gruppe war nicht nur, in der Gemeinschaft Kunst zu schaffen und auszustellen, sondern auch auf theoretischer Ebene die Entwicklungen in der Gesellschaft wie den steigenden Konsum und die Allgegenwärtigkeit der Werbung zu analysieren. In diesem Umfeld entstanden auch die ersten Kunstwerke, die heute als Vorläufer der Pop-Art Kunstrichtung betrachtet werden, zum Beispiel Collagen von Paolozzi und Hamilton.

Etwas später als die Londoner Künstlerinnen und Künstler begannen auch in den USA Kunstschaffende, sich neue Ausdrucksformen, Themen und Konzepte zu suchen. Ab Ende der 1950er-Jahre griffen sie prominente Motive aus Wirtschaft, Medien und Gesellschaft auf und reflektierten sie in ihren Arbeiten. Zu den ersten, die mit einigen später typischen Elementen der Pop-Art Bekanntheit erlangten, gehörten Robert Rauschenberg und Jasper Johns, die beide bereits Ende der 1950er-Jahre Ausstellungen in New York hatten. 1958 zeigte der Galerist Leo Castelli zunächst Rauschenberg und etwas später im gleichen Jahr auch Johns. Bald darauf gesellten sich viele weitere US-amerikanische Pop-Art Künstlerinnen und Künstler wie Robert Indiana, Andy Warhol, Mel Ramos, Tom Wesselmann, Claes Oldenburg, Francis Gill, James Rosenquist oder Roy Lichtenstein hinzu, die heute zu den Ikonen jener Epoche zählen.

Die Pop-Art schlug einen völlig neuen Kurs in der Kunst ein

Angesichts der Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft entwickelten die Künstlerinnen und Künstler sowohl der britischen als auch der US-amerikanischen Pop-Art ein grundlegend neues Konzept von der bildenden Kunst. Ausgehend von der Beobachtung, dass Kommerzialisierung, Werbung, Massenproduktion und Massenmedien zunehmend das Leben der Menschen beherrschten, wollten sie diese Entwicklungen in ihren Werken thematisieren, kritisch hinterfragen und in gewisser Weise aber auch für sich instrumentalisieren.

Die Idee war, die Kunst in zweierlei Hinsicht wieder näher an den Alltag und das Lebensgefühl der Menschen zu bringen: Zum einen stammten die Inspirationen für die Kunstwerke aus allgegenwärtigen Themen, Produkten und Personen, zum anderen sollte die Kunst wieder eine größere Bedeutung für die breite Masse der Menschen bekommen.

Motiv "Love" von Robert Indiana

Die Pop-Art Motive: Die Trivialität des Alltags im Rampenlicht

Die Pop-Art Künstlerinnen und Künstler hatten sich zum Ziel gesetzt, die Konsumgesellschaft und ihre Mechanismen zu hinterfragen. Dafür griffen sie in ihren Werken vornehmlich Motive auf, die sinnbildlich für das Zeitgeschehen standen und eine weite Verbreitung bzw. einen hohen Bekanntheitsgrad besaßen. Dazu gehörten zahlreiche alltägliche Produkte sowie Inhalte aus den Massenmedien, aber auch bestimmte Gestaltungsprinzipien und Verhaltensmuster der Massenkultur. Mit der Praxis, ganz normale Alltagsgegenstände in den Mittelpunkt der Kunstwerke zu stellen, läutete die Pop-Art einen Paradigmenwechsel in der bildenden Kunst ein. Vermeintlich banale Artikel wie Suppendosen, Autos, Zigarettenschachteln, Brot, Coca-Cola-Flaschen oder Einrichtungsgegenstände waren plötzlich prominent.

Zur zweiten großen Quelle für die Pop-Art Motive wurden die Massenmedien, vor allem die Printmedien. Markenlogos, Werbung sowie Ausschnitte aus Zeitungen und Illustrierten fanden vor allem in Collagen neue Bedeutungskontexte. Auch Fotos von bekannten Persönlichkeiten wie John F. Kennedy, Janis Joplin, Elvis Presley oder Marilyn Monroe wurden in den Kunstwerken reproduziert. Darüber hinaus arbeiteten viele Pop-Art Künstler und Künstlerinnen auch mit Referenzen und Hommagen an Comicfiguren und -strips wie Donald Duck, Popeye oder Mickey Mouse. Die Pop-Art griff aber auch traditionelle Genres wie Porträts oder Stillleben auf, interpretierte diese allerdings in einer sehr flächenhaften und stark stilisierten Darstellung grundlegend neu.

Raus aus den Museen – rein in den Alltag: Die "Demokratisierung" der Kunst

Die Motivation der Pop-Art Kunstschaffenden, ihre Motive im Alltag der Menschen zu suchen, basierte auf der Überzeugung, dass die Kunstwerke wieder näher an die Lebenswirklichkeit rücken und weniger intellektuell und elitär ausfallen sollten. Die Menschen sollten sich und ihre Umwelt in der Kunst wiedererkennen und somit einen leichteren Einstieg zu einem Bereich der Kultur bekommen, der sonst nur etwas abgeschieden in Galerien und Museen stattfand. Dahinter stand der Gedanke, dass man sich endgültig von der langen gepflegten Tradition trennen müsse, bei Kunstwerken zwischen Alltags- und Hochkultur zu unterscheiden. Dieses System hielten die Pop-Art Künstler und Künstlerinnen für völlig überholt. Sie setzten darauf, mit ihren Werken unmittelbar in das Leben der Menschen vorzudringen.

Ein wichtiger Teil dieser Strategie war, die Kunstwerke für größere Käuferschichten erschwinglich zu machen. Vor allem durch eine serielle Produktion mithilfe der Druckgrafik sollte die Kunst ein ebenso selbstverständliches Produkt werden wie jeder andere Konsumartikel auch. In diesem Zuge wurden auch die bis dato hochgehaltenen Prinzipien der Originalität und Einzigartigkeit eines Werkes, die lange als die Alleinstellungsmerkmale schlechthin galten, geopfert. Damit brach die Pop-Art gleich mehrere Tabus und stellte den gesamten Kunstbetrieb mit all seinen Regeln und Mechanismen infrage.

Pop-Art - größere und kleinere Rasterpunkte

Die Pop-Art Merkmale: Stil und Techniken

Neben dem neuen Selbstverständnis und den Motiven bestand die große Errungenschaft der Pop-Art in ihrer innovativen Ästhetik. Diese brach mit vielen Prinzipien der zeitgenössischen Stile und setzte neue Maßstäbe.

Ein wesentlicher Aspekt der Pop-Art Bilder bestand in der Rückkehr zu den gegenständlichen Motiven, die vor allem im sehr populären Abstrakten Expressionismus nahezu vollständig verbannt worden waren. Die Bildobjekte wurden aber meist nicht realistisch gezeigt, sondern nur stilisiert dargestellt und dabei auf ihre wesentlichen Merkmale und Konturen reduziert.

Bei der Kolorierung kamen kräftige bis grelle Farben, insbesondere die Primärfarben Rot, Blau und Gelb, zum Einsatz, die in großen Flächen aufgetragen wurden. Weitere Pop-Art Merkmale waren die kaum vorhandenen Raumtiefe und – in Anlehnung an die Druckgrafik – größere und kleinere Rasterpunkte. Damit erinnerte die Bildsprache der Pop-Art Bilder bewusst an die Illustrationen von Comics und Cartoons.

Neben der eher kühlen und abstrahierenden Darstellungsweise arbeiteten die Pop-Art Künstler und Künstlerinnen auch vermehrt mit Zitaten und Verfremdungen. So entnahmen sie ihre Motive aus ihren ursprünglichen Kontexten und zeigten sie isoliert bzw. in neuen, ungewohnten Zusammenhängen. Außerdem manipulierten sie ihre Bildobjekte häufig und veränderten in der künstlerischen Bearbeitung ihren Bedeutungsgehalt.

Auch bei den Techniken brachte die Epoche einige Veränderungen. Die Pop-Art Kunstschaffenden arbeiteten zwar immer noch häufig mit Malerei, Zeichnung und Bildhauerei, sie etablierten aber darüber hinaus auch neue bzw. bis dato seltenere Techniken wie Fotomontage, Collage, Assemblagen oder verschiedene Drucktechniken. Diese Verfahren unterstützten mit ihren Eigenschaften die Ästhetik der Pop-Art oder definierten sie sogar zum Teil mit. Vor allem der Siebdruck wurde zum Sinnbild für die serielle Produktion der Pop-Art.

Die zwei Seiten der Kommerzialisierung in der Pop-Art

Mit ihrer Einstellung zur Kommerzialisierung vollbrachten einige Künstler und Künstlerinnen der Pop-Art einen intellektuellen Spagat. Auf der einen Seite kritisierten sie, wie groß die Bedeutung des Konsums mit all seinen Folgeerscheinungen geworden war. Auf der anderen Seite propagierten sie aber selbst Mechanismen, die im Kern ebenfalls auf eine serielle Produktion und massenhafte Verbreitung ihrer eigenen Werke abzielte. Vor allem die Nutzung des Siebdrucks, um große Serien von identischen Werken herzustellen, leistete der Kommerzialisierung Vorschub.

Insbesondere Andy Warhol machte keinen Hehl daraus, dass für ihn ein wesentlicher Bestandteil seines künstlerischen Handels auch in dem wirtschaftlichen Erfolg bestand. Damit vertrat er eine Position, die lange verpönt war, denn nach einhelliger Meinung sollte die Kunst vor allem einem höheren, edlen Ziel dienen und völlig unabhängig von ökonomischen Zwängen sein. Mit ihrer sehr pragmatischen und realistischen Attitüde zogen viele Pop-Art Künstler und Künstlerinnen große Kritik auf sich und schoben eine Diskussion über die Kommerzialisierung der Kunst an, die bis heute anhält.