Der Kubismus – mit geometrischen Formen zum Bild

Der Kubismus – mit geometrischen Formen zum Bild

10.08.23
ars mundi

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rüttelte der Kubismus an allen Grundfesten der bildenden Kunst. Radikaler wollte keine Epoche zuvor mit den herrschenden Konventionen in der Malerei brechen. Die Künstlerinnen und Künstler des Kubismus verweigerten sich der traditionellen Auffassung, dass die Malerei die Bildgegenstände möglichst realistisch abbilden solle und entwickelten neue Maximen für die Bildgestaltung.

Konstruktion und Dekonstruktion der Bildgegenstände mithilfe von geometrischen Formen, Abkehr von der klassischen Perspektive und erste Schritte in Richtung der Abstraktion waren nur einige der bahnbrechenden Neuerungen, die der Kubismus mit sich brachte. Die Epoche begann etwa 1907, doch mit Beginn des Ersten Weltkriegs löste sie sich bereits langsam wieder auf. Diese im Vergleich zu anderen Stilen kurze Zeit reichte aber aus, um grundlegende Veränderungen in der Malerei anzustoßen.

Braque und Picasso – ein Künstlerduo revolutionierte die Malerei

Die Entwicklung des Kubismus ist untrennbar mit zwei Namen verbunden: Pablo Picasso und Georges Braque. An der Wende zum 20. Jahrhundert strebten beide zunächst unabhängig voneinander nach neuen Formen des künstlerischen Ausdrucks.

Picasso: traditionelle Gestaltungsformen hinterfragen

Der spanische Künstler Pablo Picasso studierte an der Königlichen Kunstakademie, doch kaum hatte er die Hochschule verlassen, hinterfragte er die traditionellen Gestaltungsformen. Kontinuierlich strebte er nach einer künstlerischen Weiterentwicklung. Die zu der Zeit der Jahrhundertwende etablierten Stile wie Impressionismus, Symbolismus oder Jugendstil nahm er bestenfalls als Anregungen, um darauf aufbauend seine eigene Bildsprache zu entwickeln.

Ab Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigte sich Picasso zudem verstärkt mit der Kunst anderer Kulturen. Er war fasziniert von der reduzierten Formensprache von afrikanischen Skulpturen und Stammesmasken und ließ deren Ästhetik erkennbar in seine Werke einfließen. Aber auch bei den europäischen Künstlern fand Picasso neue Inspiration, zum Beispiel bei El Greco, Henri Rousseau und Paul Gauguin. Ganz besonders verehrte er aber Paul Cézanne (1839 – 1906). Vor allem dessen Spätwerk und seine grundsätzlichen Überlegungen zur Darstellungsweise sollten Picasso maßgeblich beeinflussen.

Cézanne hatte bereits den Anspruch weit hinter sich gelassen, Objekte realistisch abbilden zu wollen. Nach seiner Theorie ließen sich alle Bildgegenstände mittels Kugeln, Zylindern und Kegeln darstellen. Unter diesem Einfluss gab auch Picasso die natürliche Darstellungsweise der Proportionen nach und nach auf. Die ersten klar dem Kubismus zuzuordnenden Stilelemente begann der spanische Künstler ab 1906 zu verwenden – in seinem Gemälde "Les Demoiselles d´Avignon", das zu einem Schlüsselwerk der gesamten Epoche werden sollte.

Georges Braque: geometrische Formen und Perspektiven vermischen

Fast zeitgleich mit Picasso entwickelte auch der französische Künstler Georges Braque eine sehr ähnliche Vorstellung von der Bildgestaltung und der Darstellung der Objekte. Auch Braque verehrte Paul Cézanne, aber auch die Fauves und von ihnen vor allem Henri Matisse. Wie Picasso löste sich aber auch Braque von den bereits vorhandenen Stilen wie Fauvismus oder Impressionismus und beschritt eigene Wege. Er arbeitete vermehrt mit geometrischen Formen und vermischte mehrere Perspektiven in einem Bild.

Ende des Jahres 1908 schließlich lernten sich Picasso und Braque auf Vermittlung des Schriftstellers Guillaume Apollinaire hin kennen. Schnell verband sie eine enge Freundschaft und sie begannen eine höchst kreative und produktive Zusammenarbeit. Ihre Kooperation glich einer Forschungsmission, deren Themen weit über die Malerei hinausgingen. So beschäftigten sie sich mit dem Prozess des Sehens und der Verarbeitung der optischen Eindrücke im Gehirn. Parallel experimentierten sie weiter mit den malerischen Mitteln.

Die Anfänge: Analytischer Kubismus und seine Merkmale

Die Arbeit von Braque und Picasso markierte die erste große Phase des Kubismus und wird heute als "Analytischer Kubismus" bezeichnet. Die Künstlerinnen und Künstler des Kubismus malten zwar gegenständlich, fühlten sich aber nicht mehr dem Realismus verpflichtet. Stattdessen analysierten sie die Gegenstände und suchten nach einer Darstellungsweise, die möglichst viele Erscheinungsformen eines Objektes gleichzeitig erfassen konnte.

Die augenfälligsten Kubismus Merkmale in dieser ersten Stufe waren die fragmentierte und geometrische Gestaltung der Bildobjekte sowie der unkonventionelle Umgang mit den Perspektiven. Braque und Picasso konzentrierten sich auf die Grundformen und definierten die Bildobjekte häufig nur durch ihre Konturen. Auch die Farbpalette reduzierten sie sukzessive und arbeiteten vorwiegend mit gedeckten Farbtönen wie Braun, Grau, Beige, Blau und Schwarz. Bei der Erreichung des Ziels, verschiedene Ansichten eines Objekts gleichzeitig zu zeigen, gewann außerdem die Frage an Bedeutung, wie der Blickwinkel und die Lichtführung zu wählen seien.

Die Kunstschaffenden des Kubismus lösten sich von der traditionellen Unterteilung des Bildes in Vordergrund, Mitte und Hintergrund sowie von der Zentralperspektive. Stattdessen versuchten sie, möglichst viele Merkmale, die sonst erst aus verschiedenen Blickwinkeln zu erkennen sind, gleichzeitig abzubilden. Diese bahnbrechende Vorgehensweise sorgte in der Kunstszene Europas schnell für Furore. Auch andere Künstlerinnen und Künstler jener Zeit begannen sich für diese neuartige Philosophie der Malerei zu interessieren, zum Beispiel Juan Gris oder Robert Delaunay.

Die Weiterentwicklung: Synthetischer Kubismus

Die Künstlerinnen und Künstler des Kubismus verharrten aber nicht bei ihrem einmal gefundenen Stil, sondern entwickelten ihn kontinuierlich weiter. Ab etwa 1912 trat der Kubismus in eine zweite große Phase ein, die heute als "Synthetischer Kubismus" bezeichnet wird.

Auf mehreren Ebenen variierten die Kunstschaffenden dabei ihre Arbeitsweise. Die wohl wichtigste Veränderung war, dass sie ihr Gestaltungsprinzip umkehrten. Statt wie im Analytischen Kubismus die Bildgegenstände förmlich zu sezieren und in Einzelteile zu zerlegen, setzten sie sie nun vornehmlich aus abstrakten Formen zusammen. Das Bild entstand aus einer Synthese verschiedener Objekte. Alle Bildgegenstände ordneten die Kubismus Künstler und Künstlerinnen dabei gleichberechtigt in einer einzigen, flachen Ebene an und vermieden damit jeglichen Eindruck von Räumlichkeit.

Besonders auffällig aber war, dass die Kunstschaffenden des Kubismus nicht nur die Bildkomposition weiterentwickelten, sondern auch die Materialien, mit denen sie arbeiteten. So begannen sie, Alltagsgegenstände in ihre Ölgemälde zu integrieren. Sie beklebten die Leinwand zum Beispiel mit Papier- und Zeitungsschnipseln, Tapeten, Textilien, Glas, Sand oder Holz. Damit schufen sie die Grundlage für verschiedene Techniken der folgenden Jahrzehnte wie Collage, Objektkunst und Ready-made.

Mit den neuen Materialien öffneten sie zudem ihre Farbpalette wieder. Sie verwendeten hellere, kräftigere und buntere Farben und kombinierten in einem Bild wieder deutlich mehr verschiedene Farbtöne. Schließlich hinterfragte der Synthetische Kubismus auch erneut das Selbstverständnis der Kunst. Die Kubismus Künstler und Künstlerinnen betrachteten die Kreation eines Kunstobjekts nun endgültig nicht mehr nur als Mittel zum Zweck. Stattdessen verstanden sie den künstlerischen Prozess als Selbstzweck. Ein Kunstwerk sollte nicht dazu dienen, die Gegenstände abzubilden, sondern es galt nun als eine autonome Entität, mit der eine neue Realität erschaffen wird.

Die Rezeption des Kubismus und sein Einfluss in der Kunstgeschichte

Wie so viele progressive und avantgardistische Ausdrucksformen in der Kunst hatte auch der Kubismus in der Malerei zunächst einen schweren Stand. Die Reaktionen in der breiten Öffentlichkeit reichten von völligem Unverständnis bis hin zur Ablehnung.

Anfang des 20. Jahrhunderts dominierten auf dem europäischen Kunstmarkt und an den Kunstakademien andere Stile wie Impressionismus und Symbolismus und es bestand nur wenig Bereitschaft, progressiven Strömungen Platz einzuräumen. Vor allem der einflussreiche Pariser Kunstkritiker Louis Vauxcelles griff die Künstlerinnen und Künstler des Kubismus offensiv an und verhöhnte ihre Arbeit.

Der Kubismus in der Malerei: Es gab auch ein positives Echo

Mit dem deutschstämmigen Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler fanden die Kunstschaffenden einen großen Fürsprecher. Kahnweiler engagierte sich sehr für die jungen Künstlerinnen und Künstler des Kubismus und richtete schon 1908 erste Ausstellungen mit ihnen aus. Aber auch unter europäischen Kunstschaffenden trafen die kubistischen Arbeiten auf Interesse. Einflüsse des Kubismus fanden sich später unter anderem bei Marcel Duchamp, der mit seinen Ready-mades weltberühmt werden sollte, oder auch bei den Bauhauskünstlern Oskar Schlemmer und Lyonel Feininger.

Auch die deutschen Expressionisten wie Franz Marc, August Macke oder Paul Klee ließen sich von den geometrischen Gestaltungsformen inspirieren. Die Impulse des Kubismus reichten bis tief ins 20. Jahrhundert und waren unter anderem bei Futurismus, Surrealismus, Abstraktion, Konstruktivismus und Pop-Art erkennbar.

Die Kunstrichtung Kubismus heute

Heute wird die große Leistung und das Verdienst der Kunstschaffenden des Kubismus um die Fortentwicklung der bildenden Kunst unter Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern allenthalben anerkannt. Picasso, Braque und alle anderen Kubismus Künstler und Künstlerinnen Anfang des 20. Jahrhunderts gelten heute unbestritten als bedeutende Pioniere der Malerei. Mit ihrer innovativen Art und Weise, die Kunst zu denken, sprengten sie das enge stilistische Korsett ihrer Zeit und legten den Grundstein für die abstrakte Malerei.