"Die Beständigkeit der Erinnerung": Dalís Ikone des Surrealismus

"Die Beständigkeit der Erinnerung": Dalís Ikone des Surrealismus

08.02.24
ars mundi

"Die Beständigkeit der Erinnerung" - Salvador Dalí malte dieses Schlüsselwerk des Surrealismus im Jahr 1931. Das im Original nur 24,1 mal 33 Zentimeter große Ölgemälde steht heute symbolisch für eine ganze Kunstepoche. Insbesondere die zerfließenden Uhren sind zum Sinnbild für die bizarren und skurrilen Bildwelten des Surrealismus geworden.

Als Dalí das Bild fertig stellte, stand er noch ganz am Anfang seiner Karriere. In den Jahren zuvor hatte er die ersten Kontakte zu den Surrealistinnen und Surrealisten geknüpft und begann gerade, seinen typischen individuellen Malstil zu entwickeln. Noch im gleichen Jahr, in dem Dalí das Werk gemalt hatte, stellte es der Pariser Galerist Pierre Colle aus. Über die New Yorker Galerie Julien Levy, die es 1934 erworben hatte, landete es bei einem anonymen Käufer. Dieser schenkte es schließlich dem Museum of Modern Art in New York, wo es bis heute zu den großen Attraktionen des Hauses gehört.

"Die Beständigkeit der Erinnerung" von Salvador Dalí hat nicht nur (Kunst-)Geschichte geschrieben, sondern auch die (Pop-)Kultur nachhaltig beeinflusst. Das Motiv wurde unzählige Male zitiert und reproduziert sowie auf Merchandise-Artikel wie Tassen, T-Shirts, Kopfkissen, Uhren, Socken oder Puzzles gedruckt.

Salvador Dalí - das Genie des Surrealismus

Salvador Dalí (1904 - 1989) war eine der berühmtesten Künstler-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Sein Name steht wie kein Zweiter für die Kunst des Surrealismus. Er suchte seine Inspiration in seinem Unterbewusstsein und in unkontrollierten Fantasien und er versuchte, beim Malen Logik und Verstand völlig auszuschalten. Seine Gemälde bezeichnete er daher auch als "handgemalte Traumfotografien".

Dalís großer Erfolg beruhte aber nicht nur auf seinen skurril-faszinierenden Bildkompositionen. Mindestens ebenso wichtig für seinen Erfolg war seine Selbstinszenierung als exzentrischer Malerfürst. Die gezielte Provokation und eine gewisse Arroganz gehörten bei ihm zum Programm. So soll er selbst einmal gesagt haben:


"Ich selbst bin der Surrealismus."


Dieses Übermaß an Selbstbewusstsein traf nicht immer auf Gegenliebe. Er wurde von Künstlerkolleginnen und Künstlerkollegen belächelt und Kritikerinnen und Kritiker verspotteten ihn als wenig talentiert. Doch der Erfolg beim Publikum gab ihm recht, denn offenbar traf er zielsicher dessen Geschmack.

Bis heute gehören Bilder wie "Sleep", "Bacchanale", "Die Versuchung des Heiligen Antonius" oder "Les Éléphants" zu den beliebtesten Motiven der Kunstgeschichte. Dalís teuerstes Bild ist "Ma femme nue regardant son propre Corps", das auf einer Auktion im Jahr 2000 rund 3 Millionen Pfund brachte. Außerdem tragen heute zwei große Museen seinen Namen. Das "Teatre-Museu Dalí" in seiner katalanischen Heimatstadt Figueres, und das "Dalí Museum" in St. Petersburg, Florida. Außerdem stehen einige seiner monumentalen Skulpturen an prominenten Plätzen in verschiedenen Metropolen der Welt, zum Beispiel in Singapur, Tel Aviv und Amsterdam.

Salvador Dalí wurde 1904 in Katalonien geboren. Bereits mit zehn Jahren erhielt er Zeichenunterricht. Ab 1922 besuchte er die Kunstakademie "Academia San Fernando" in Madrid. Bei Reisen nach Paris lernte er Avantgardisten wie den Regisseur Luis Buñuel und den Maler Joan Miró kennen.

1926 wurde Dali von der Kunstschule geworfen - angeblich, weil er die Lehrenden öffentlich als unfähig bezeichnet hatte, sein Werk angemessen zu beurteilen. Dalí machte aber auch ohne einen akademischen Abschluss Karriere.


1929 trat er schließlich den Pariser Surrealistinnen und Surrealisten bei und entwickelte sich zu einem der wichtigsten Vertreter dieses Stils. Im Lauf seines Lebens arbeitete er mit verschiedenen Techniken und Materialien. Malerei, Bildhauerei und Grafik gehörten ebenso zu seinem Werk wie Fotografie, Film, Literatur sowie Theaterkostüme und Bühnenbilder.

Surrealismus - Kunst wie aus einer bizarren Parallelwelt

Salvador Dalí gilt heute als der prominenteste Vertreter des Surrealismus. Dieser Stil hatte sich ab den 1920er-Jahren in Paris entwickelt und nicht nur die Malerei, sondern auch Literatur, Fotografie und Film erfasst. Zu den Pionieren des Surrealismus gehörten neben Dalí u.a. Max Ernst, Joan Miró, Man Ray, Yves Tanguy, René Magritte und Luis Buñuel.

Die Surrealistinnen und Surrealisten lehnten die Realität als Bezugspunkt für ihre Kunst ab und suchten ihre Inspiration im Unbewussten und Unterbewussten. Sie wollten Einblicke in eine Welt schaffen, die jenseits der sichtbaren Wirklichkeit liegt. Die Zugänge hierzu erhofften sie sich in Träumen, in Visionen, in Rauschzuständen oder in Halluzinationen. Entsprechend absurd, mysteriös und manchmal auch verstörend erscheinen surrealistische Bilder. Die Kunstschaffenden erschufen Fantasiewesen, verzerrten und deformierten ihre Bildgegenstände bis zur Unkenntlichkeit und fusionierten Objekte, die in der Realität niemals in einer solchen Konstellation anzutreffen wären. Damit schufen die Surrealistinnen und Surrealisten visuelle Grenzerfahrungen und stellten die Wahrnehmung der Realität infrage. Das Publikum zeigt sich davon aber bis heute höchst fasziniert und auch in der Kunstwelt wirken die Bildsprache und die Philosophie des Surrealismus immer noch nach.

Die Beständigkeit der Erinnerung: zwischen Realität und Fantasie

Dalí hatte sich zum Ziel gesetzt, mit seiner Kunst die "Verwirrung zu systematisieren" und "die Welt der Realität vollständig zu diskreditieren". Dies gelingt ihm mit der "Beständigkeit der Erinnerung" in Perfektion. Sowohl bei der Bildkomposition als auch bei den Objekten selbst spielte er geschickt mit der Wahrnehmung und stellte infrage, was wir für die Wirklichkeit halten.

Interessant ist, dass er Realität und Fiktion in diesem Gemälde miteinander vermischt. Das obere Drittel des Bildes baut er noch wie ein herkömmliches Landschaftsgemälde auf. Das Museum of Modern Art merkt dazu an, dass Dalí selbst erklärt habe, es handele sich hierbei um die Halbinsel Cap de Creus an der katalanischen Küste. Zeitweilig hatte Dalí in der Nähe gewohnt und auch seine Atelierräume gehabt. Vor diesem realen Hintergrund setzt er dann aber seine absurde Komposition aus Bildgegenständen. Hier sind es vor allem die drei zerfließenden Uhren, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Ein Camembert im Sonnenlicht als Muse

Über Dalís Intention für die Darstellung der Taschenuhren ist wenig bekannt - außer, dass er nach eigener Aussage von einem, in der Wärme schmelzenden Camembert dazu inspiriert worden sei. Warum er eine vierte Uhr hinzufügte, die er im Originalzustand malte, ist nicht überliefert. Von dieser goldenen Uhr ist außerdem nur die Rückseite erkennbar, auf der einige Ameisen herumkriechen. Unklar ist auch, warum alle Uhren eine andere Zeit anzeigen.

Mindestens ebenso viele Rätsel wie die Uhren gibt das amorphe weiße Objekt in der Bildmitte auf. Zwar lassen sich eine Nase, eine Zunge und Wimpern erkennen, doch diese sind anatomisch völlig falsch angeordnet. Dieses bizarre Objekt bietet viel Raum für Spekulationen. Manche wollen darin ein Selbstporträt Dalís sehen, andere die Andeutung eines Fötus.

Neben den verwirrenden Bildobjekten sorgt auch die Farbpalette, die Dalí wählte, für einen eher düsteren Eindruck. Gut zwei Drittel des Gemäldes "Die Beständigkeit der Erinnerung" sind in dunklen Farbtönen gehalten. Es dominieren Braun-, Grau- und Gelbtöne, Rot und Grün hingegen sind gar nicht vertreten. Zudem sind die wenigen Bildgegenstände sehr weit voneinander auf dem Bild verteilt. Dies schafft eine karge und einsame Atmosphäre.

Viel Raum für Interpretation - oder: Was soll die Beständigkeit der Erinnerung darstellen?

Die fantastisch und psychedelisch anmutende Zusammenstellung von mal mehr, mal weniger realistisch dargestellten Objekten wirft unweigerlich die Frage auf, welche Botschaft mit diesem Bild vermittelt werden soll. Eindeutige und umfassende Aussagen zum Sinn dieses Gemäldes sind allerdings von Salvador Dalí nicht bekannt. Dies lässt viel Raum für Spekulationen und Theorien rund um den Symbolgehalt des Werkes.

Viele der Gegenstände, die Dalí hier abbildet, verfügen in der Kunst- und Kulturgeschichte über symbolische Bedeutungen. In Stillleben beispielsweise stehen die Uhren, wie sie in Dalís Werk gleich vier Mal vorkommen, sinnbildlich für die Vergänglichkeit. Mit den zerfließenden Uhren verrinnt hier die Zeit also förmlich doppelt.

Ein weiteres Symbol, dass aus Stillleben bekannt ist, findet sich mit der Fliege, die auf einer der Uhren sitzt. Diese steht stellvertretend für Verwesung und Tod und ist damit ebenfalls ein Hinweis auf das Ende des Lebens. Auch der Olivenbaum - oder das, was von ihm übrig ist - kann in diese Richtung gedeutet werden. An sich stehen Bäume sinnbildlich für Wachstum, Kraft und damit für das Leben. Ein beschädigter Baum ohne Blätter und Äste wie hier hingegen wird in manchen Traumdeutungen mit Verlust oder negativen Ereignissen assoziiert.

Dalí verwendet darüber hinaus noch viele weitere symbolträchtige Objekte im Werk "Die Beständigkeit der Erinnerung". So erinnert die glänzende Fläche in der rechten oberen Bildecke an einen Spiegel. Dieser kann für die Eitelkeit, aber auch für Selbsterkenntnis und Wahrheit stehen. Auch die Ameisen, die auf der goldenen Uhr sitzen, sind mehrdeutig. Sie gelten zum einen als fleißige Arbeiter, werden in der Traumdeutung mitunter aber auch als ein Hinweis auf das Unbewusste und Unterbewusste interpretiert.

Auch wenn die Anzahl an Objekten in diesem Gemälde recht überschaubar ist, sparte Salvador Dalí hier also nicht mit Symbolik und verschiedenen Bedeutungsebenen. Ob er das Bild in einem halluzinativen Zustand oder in einem Traum "gesehen" hat, ist weder bekannt noch letztlich relevant.

Am Ende bleibt es wohl jeder und jedem selbst überlassen, für "Die Beständigkeit der Erinnerung" eine Interpretation zu finden.