Surrealismus: Kunst wie aus einer anderen Welt

Surrealismus: Kunst wie aus einer anderen Welt

11.01.24
ars mundi

Die Kunst des Surrealismus wirkt, als käme sie aus einer bizarren Parallelwelt: Sie zeigt unwirkliche Szenen, die aus Träumen, Visionen oder Rauschzuständen zu stammen scheinen. In teils absurden Bildkomposition treffen hier skurrile Wesen und rätselhafte Fantasiefiguren auf deformierte Objekte. Realität und Logik sind völlig außer Kraft gesetzt. Die Werke wirken mal widersinnig, mal mysteriös, mal verstörend – aber durchaus auch poetisch und humorvoll.

Mit ihrer Kunst wollten die Surrealistinnen und Surrealisten am Anfang des 20. Jahrhunderts einen Zugang zu einer Welt schaffen, der jenseits der sichtbaren Wirklichkeit liegt. Nicht selten stellten ihre Werke für das Publikum Grenzerfahrungen dar und ließen an der Wahrnehmung der Realität zweifeln. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – sollte sich der Surrealismus zu einem der bedeutendsten Stile der Kunstgeschichte entwickeln. Bis heute wirken seine Bildsprache und seine Philosophie in der Kunstwelt nach.

Surrealismus - seit 100 Jahren aktuell und beliebt

Die Geschichte des Surrealismus in der Malerei begann im Paris Anfang der 1920er-Jahre. Er war Teil einer größeren Bewegung, die die gesamte Kunstszene erfasste. In der französischen Metropole hatte sich eine Künstlergruppe formiert, zu der neben Malern auch Fotografen, Schriftsteller und Filmemacher gehörten. Zu den frühen Surrealisten gehörten u.a. Max Ernst, Salvador Dalí, Joan Miró, Man Ray, Yves Tanguy, René Magritte und Luis Buñuel. Ihre erste Ausstellung fand 1925 in Paris statt.

Die Hochphase des Surrealismus dauerte etwa bis 1950, doch er blieb auch darüber hinaus in der Kunstwelt präsent und einflussreich. Vielen weiteren Stilen diente er als Inspiration, zum Beispiel verschiedenen Varianten der abstrakten Malerei oder dem Phantastischen Realismus. Auch rund 100 Jahre später fasziniert der Surrealismus das Publikum. Zahlreiche Werke des Surrealismus, zum Beispiel "Die Beständigkeit der Erinnerung" von Salvador Dalí, "Der singende Fisch" von Joan Miró oder "Der Sohn des Menschen" von René Magritte gehören zu den berühmtesten Motiven der Kunstgeschichte. Auch Ausstellungen und Museen, die den Kunstschaffenden des Surrealismus heute gewidmet sind, werden regelmäßig zu großen Publikumsmagneten.

Die menschliche Psyche als Quelle der Inspiration

Die Surrealistinnen und Surrealisten verfolgten mit ihrer Philosophie ein wahrlich großes Ziel: Sie wollten nicht weniger, als das Denken der gesamten Menschheit zu revolutionieren. Grundsätzlich sei den unbewussten Impulsen mehr Bedeutung zuzumessen als der Logik und der Rationalität, so ein Grundgedanke des Surrealismus. Die wahre Kraft stecke in der Imagination, die aus den Tiefen der menschlichen Psyche entspringe. Nur wenn der Geist von jeglichen Zwängen der rationalen Kontrolle befreit sei, könne der Mensch zu höherer Erkenntnis und künstlerischer Kraft gelangen.

Bedeutenden Einfluss auf die Theorie der Surrealistinnen und Surrealisten hatten die Erkenntnisse von Sigmund Freud. Der österreichische Psychologe legte zu dieser Zeit seine bahnbrechende Arbeit zur Psychoanalyse vor. In seiner tiefenpsychologischen Theorie hob er die Bedeutung des Unterbewussten, des Unbewussten und der Träume hervor. Hieraus leiteten auch die Künstlerinnen und Künstler des Surrealismus ihre Handlungsmaximen ab: Die Existenz (und damit auch die Wahrnehmung) der Realität wurde vollständig infrage gestellt.

Im gleichen Zuge wurde sie auch nicht mehr als Bezugspunkt und Quelle von Bildmotiven akzeptiert. Stattdessen suchten die Kunstschaffenden ihre Inspiration in Träumen, Fantasien, Rauschzuständen, Visionen oder psychotischen Zuständen. Ihre Kunst sahen sie als Ventil, durch das sich ungefiltert Wünsche, Triebe und Leid artikulieren ließen. Auf vielen Feldern der Kunst war mit dem Surrealismus eine Form der "Überwirklichkeit" geboren.

Geschichte des Surrealismus: zwei verschiedene (Stil-)Richtungen

Unter den Surrealistinnen und Surrealisten herrschte auf theoretischer Ebene weitestgehend Einigkeit darüber, was sie mit ihrer Kunst zum Ausdruck bringen wollten. Doch daraus resultierte keine einheitliche Formensprache der surrealistischen Bilder. Vielmehr sollten sich innerhalb des Surrealismus zwei größere Strömungen entwickeln. Diese unterschieden sich primär in der Wahl der Motive und Bildobjekte.

Der Veristische Surrealismus (oder auch Hyperrealistische Surrealismus) lässt diesbezüglich noch einen konkreten Bezug zur Realität erkennen. Die Kunstschaffenden verwendeten in der Regel reale Bildgegenstände, doch sie verzerrten oder verfremdeten sie oftmals stark. Außerdem kombinierten sie Objekte miteinander, die in der Realität niemals in einem Kontext erscheinen würden. Die Surrealismus Merkmale lassen verschiedene Einflüsse vorangegangener Epochen und Kunstschaffender erkennen, zum Beispiel von Hieronymus Bosch, Henri Rousseau, Giorgio de Chirico sowie des Kubismus oder des Dadaismus. Die Verbindung aus realen Objekten und absurden Bildkompositionen macht die Kunst des Surrealismus einerseits sehr verwirrend, andererseits aber auch äußerst faszinierend. Realität und Fiktion lassen sich nicht mehr voneinander trennen und die subjektive Wahrnehmung gerät ins Wanken.

Der Abstrakte Surrealismus (auch Absolute Surrealismus) hingegen erscheint weitestgehend von der Wirklichkeit abgekoppelt. Hier entspringen die Bildmotive ausschließlich der freien Fantasie und dem Unterbewusstsein. Künstler wie Max Ernst oder Joan Miró folgten im künstlerischen Prozess ausschließlich ihrer spontanen Inspiration. Intuitiv malten sie abstrakte Formen, Muster und Strukturen oder fantastische Wesen und Landschaften, die kaum noch etwas mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Auch wenn man meint, den ein oder anderen Gegenstand erkennen zu können, verweigern sich die Bildobjekte letztlich einer eindeutigen Zuordnung.

In der Kunst des Surrealismus wurde der künstlerische Prozess neu erfunden

Die Surrealistinnen und Surrealisten betraten nicht nur bei ihren Motiven Neuland. Sie hinterfragten auch den gesamten künstlerischen Schaffensprozess – von der Ideenfindung bis hin zu den Techniken. Viele sahen in ihrem Unterbewusstsein die Quelle ihrer Kreativität.

Was war das Ziel der Surrealisten und Surrealistinnen?
Ziel war es, das Potenzial im Unterbewusstsein zu ergründen und so unverfälscht wie möglich zu artikulieren. Logik und Rationalität galten dabei als hinderlich und sollten weitestgehend ausgeblendet werden. Daher versuchten die Surrealistinnen und Surrealisten mit verschiedenen Techniken, direkten Zugang zu ihrer Psyche zu erlangen.


Um die reine Inspiration nicht durch zu viel Nachdenken zu verändern, experimentierten sie mit verschiedenen Vorgehensweisen. Zu einer der wichtigsten Techniken der Absoluten Surrealistinnen und Surrealisten wurde das "automatische Schreiben". Dabei folgten die Kunstschaffenden ihren spontanen Assoziationen und brachten ihre Eingebung schnell und ungefiltert zu Papier. Einige gingen noch weiter und arbeiteten im Halbschlaf oder unter Alkohol- und Drogeneinfluss. Manche suchten sogar in neurotischen und psychotischen Zuständen die Inspiration.

Surrealismus Kunst-Merkmale: mit Techniken und Materialien experimentieren

Auch bei der Umsetzung der Motive, die aus den Tiefen ihrer Seele stammten, gingen die Surrealistinnen und Surrealisten neue Wege. Zwar bedienten sie sich bekannter Techniken wie der Malerei mit Ölfarben, Zeichnungen mit Bleistiften und Kohle und auch Lithografien. Doch sie suchten darüber hinaus noch nach weiteren künstlerischen Verfahren, die ihnen die Freiheit gaben, ihre Gedankenwelt unbeeinflusst zum Ausdruck zu bringen.

Zu einer wichtigen Surrealismus Technik wurde die Collage. Die Künstlerinnen und Künstler montierten die unterschiedlichsten Gegenstände wie Stoffe, Papier und alle möglichen anderen Fundstücke auf Holzplatten oder Pappen. Sowohl der Zufall als auch die spontane und unkonventionelle Komposition der Objekte spielten hier eine wichtige Rolle. Sehr ähnlich verhält es sich bei der Frottage. Bei dieser Technik werden die Oberflächenstrukturen von Gegenständen durch Abpausen auf Papier übertragen.

Und auch bei der Grattage entstehen die Bilder nur bedingt willkürlich. Dabei werden mehrere Schichten Farbe, zum Beispiel Ölfarben oder Wachsmalfarben, übereinander aufgetragen. Anschließend werden die Konturen der Bildobjekte mit einem scharfen Gegenstand herausgeschabt, wodurch sich mehrschichtige bunte Farblinien und -flächen ergeben.

Viele der Techniken der Surrealismus Kunst heute gehören zum Standard-Repertoire der bildenden Kunst.