Zeitgenössische Kunstrichtung: am Puls der Zeit
Gerhard Richter, Bruce Nauman, Tony Cragg, Anselm Kiefer, Cindy Sherman, Rosemarie Trockel, Ólafur Elíasson oder Georg Baselitz: Sie alle gelten als die derzeit erfolgreichsten bildenden Künstlerinnen und Künstler der Welt. Sie vertreten ganz unterschiedliche Genres wie Malerei, Bildhauerei, Installation oder Objektkunst und sind damit ein Spiegel der Kunst zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Diese zeichnet sich durch eine große Vielfalt an Stilen, Motiven und Techniken aus. Der Begriff "Zeitgenössische Kunst" – oft auch als Gegenwartskunst oder im Angelsächsischen als contemporary art bezeichnet – benennt daher weniger konkrete künstlerische Merkmale von Malerei und Skulpturen des 21. Jahrhunderts, sondern in erster Linie einen näher zu definierenden Zeitraum.
Was ist zeitgenössische Kunst?
Die Frage "Was versteht man unter zeitgenössischer Kunst?" lässt sich nicht einfach beantworten. Tatsächlich herrscht wenig Einigkeit darüber, welche Phase der Kunstgeschichte mit dem Begriff benannt werden soll. Klar abzugrenzen ist die zeitgenössische Kunstrichtung zunächst von der Modernen Kunst. Lange wurden beide Begriffe noch synonym verwendet. Heutzutage ist man aber dazu übergegangen, den Terminus "Moderne Kunst" ausschließlich für die Kunst der Moderne zu verwenden, die etwa in der Phase von Ende des 19. Jahrhunderts bis zu den 1940er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden ist.
Der Begriff "zeitgenössische Kunst" wiederum kennzeichnet in einer engen Definition all diejenigen Werke, die in und für eine bestimmte Zeit geschaffen wurden. Sie stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem jeweils aktuellen Kontext und nehmen auf die gegenwärtige Situation und Ereignisse Bezug. Zudem finden ihr Schaffensprozess und die öffentliche Rezeption sehr zeitnah zueinander statt.
Häufig wird "zeitgenössische Kunst" aber auch für einen längeren Zeitraum verwendet. In dieser Lesart meint der Begriff nicht mehr nur die Kunst des Hier und Jetzt, sondern die Werke aus mehreren Jahrzehnten. Dabei wird der Startpunkt oftmals sehr unterschiedlich gesetzt. Manche sehen ihn nach Ende des Zweiten Weltkriegs, andere kurze Zeit später ab den 1960er-Jahren. Sehr gute Beispiele für diese Interpretation finden sich u.a. in Titeln von Ausstellungen, Messen, Sammlungen, Katalogen und Galerien. So umfasst beispielsweise die "Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland" Werke von 1949 bis heute. Unter diese, weiter gefasste Definition fallen viele wichtige und einflussreiche Stile der Kunstgeschichte, zum Beispiel Abstrakter Expressionismus, Surrealismus, Minimalismus, Ready-Mades oder Pop-Art.
Zeitgenössische Kunstrichtung – große Vielfalt an Stilen und Techniken
Derzeit lässt sich – im Unterschied zu vielen anderen Epochen – kein Stil benennen, der die gesamte Kunstszene dominieren würde. Vielmehr weist die aktuelle Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine große Bandbreite an Stilen auf. So finden sich in der aktuellen Kunst Werke, die zum Beispiel dem Expressionismus, Impressionismus, der Abstraktion oder dem Realismus zuzuordnen sind. Häufig wechseln Künstlerinnen und Künstler aber auch zwischen den Lagern oder kombinieren die Stile miteinander.
Ebenso vielfältig sind auch die Techniken. Nach wie vor im Trend sind die klassischen Genres Malerei, Zeichnung, Fotografie und Bildhauerei. Parallel etablierten sich aber viele weitere Darstellungsformen wie Street Art und Urban Art, Videokunst, Performance, Installation, Konzeptkunst und Digital Art bis hin zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Auch bei den Techniken sind mittlerweile die Übergänge fließend.
Aufgaben und Inhalte der Contemporary Art
Sowohl ihrem eigenen Selbstverständnis nach als auch nach Ansicht der Öffentlichkeit hat die zeitgenössische Kunstrichtung sowohl eine gesellschaftliche Verantwortung als auch bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Der naheliegendste Anspruch an die zeitgenössische Kunst lautet, dass sie etwas Neues, noch nicht Dagewesenes schaffen solle. Nach Möglichkeit kopiert sie keine bekannten Darstellungsweisen und Stile, bricht mit altbekannten Traditionen und bietet ungekannte Perspektiven auf Inhalte, Formgebung und Genres.
Neben einer progressiven Bild- und Formensprache wird von der bildenden Kunst heute immer öfter erwartet, auch inhaltlich Stellung zu beziehen. Ihre zentrale Funktion bestehe demnach darin, der Welt den Spiegel vorzuhalten. Die Kunst soll einen Raum für Reflexion und Kritik bieten. Zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen sollen die Wirklichkeit infrage stellen, zur Diskussion anregen und auf Widersprüche und Fehler in Systemen wie Politik, Kultur, Wirtschaft oder der Gesellschaft hinweisen.
Auch etablierte Regeln und Konventionen im menschlichen Handeln oder Fragen der Wahrnehmung sollten reflektiert werden. Bei der Umsetzung dieser Ziele gilt die gezielte Provokation als ein typisches Merkmal der zeitgenössischen Kunstrichtung. Um die notwendige Aufmerksamkeit zu erlangen, sind die Werke nicht selten unbequem, beunruhigend oder verstörend. Doch dies ist kein Selbstzweck. Vielmehr wollen die Künstlerinnen und Künstler aufrütteln und all das offenlegen, wovor das Publikum gerne die Augen verschließt. Nur so können sie ihrer Aufgabe gerecht werden, bedeutend zum öffentlichen Diskurs beizutragen.
In den letzten Jahren wird zudem von der zeitgenössischen Kunst – sowohl von innen als auch von außen – eine selbstkritische Haltung erwartet. Denn bestimmte Mechanismen und Eigenheiten des aktuellen Kunstmarktes rufen viel Kritik hervor. So werden häufig Bedenken gegenüber der wachsenden Kommerzialisierung und dem Druck des Marktes auf die Kunst geäußert. Auch die zum Teil elitäre Abgehobenheit der Kunstszene sowie die Neigung zur Skandalisierung treffen mitunter auf wenig Gegenliebe. Außerdem wird öffentlich diskutiert, wie gerechtfertigt die zum Teil astronomischen Auktionsergebnisse für einige wenige Kunstwerke sind. Viele Künstlerinnen und Künstler nehmen diese Impulse auf. Sie hinterfragen in ihren Werken die Logik des Marktes und stellen ihre eigene Rolle und Aufgabe zur Diskussion.
Zeitgenössische Kunst Merkmale: Mechanismen und Märkte
Aufgrund der großen Vielfalt der Stile und Techniken lässt sich die bildende Kunst des 21. Jahrhunderts nur schwer mit nur wenigen Merkmalen umfassend beschreiben. Neben der rein künstlerischen Seite fallen aber einige Rahmenbedingungen auf, die typisch für die aktuelle Kunst sind und ihrerseits den kreativen Schaffensprozess beeinflussen.
Zunächst lässt sich konstatieren, dass die bildende Kunst heute weiter verbreitet ist als je zuvor. Durch den Wegfall verschiedener politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Grenzen konnte sich die bildende Kunst in immer mehr Lebensbereichen etablieren. Die Globalisierung, die Digitalisierung und die Web-Technologien sorgen dafür, dass sowohl die Anzahl der Konsumentinnen und Konsumenten als auch der Produzentinnen und Produzenten von Kunst größer ist denn je.
Neue Märkte und Vertriebswege haben die bildende Kunst außerdem zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor gemacht. Auf Kunstauktionen werden jährlich Umsätze im Milliardenbereich erreicht und Messen, Galerien und Ausstellungshäuser verzeichnen immer wieder Besucherrekorde. Längst haben sich Kunstwerke auch als eine Form der Kapitalanlage etabliert.
An dieser fortschreitenden Kommerzialisierung entzündet sich aber auch viel Kritik. Diese Bedingungen seien für eine oberflächliche, unterschiedslose und beliebige Kunst verantwortlich. Die Künstlerinnen und Künstler würden sich zu sehr an den Bedürfnissen des Marktes orientieren und nicht mehr ihren individuellen kreativen Impulsen folgen. Niemand würde mehr Wagnisse eingehen und der ökonomische Druck verhindere eine freie Entfaltung der zeitgenössischen Künstler und Künstlerinnen.
Auch die Technologisierung stellt Chance und Herausforderung zugleich dar. So muss sich die zeitgenössische Malerei im 21. Jahrhundert zum Beispiel mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Viele Künstlerinnen und Künstler verwenden aber auch gezielt die digitalen Technologien und setzen sie kreativ ein. Diese Entwicklungen prägen erkennbar die zeitgenössische Kunstrichtung und werden es auch weiterhin tun. Denn die kontemporäre Kunst ist immer am Puls der Zeit und verändert sich ebenso schnell wie die Welt, in der sie entsteht.