Abstrakte Plastik
Abstraktion - Neue Wege in der Kunst
Als die Künstler der Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten abstrakten Skulpturen und Gemälde präsentierten, bedeutete dies eine der größten, wenn nicht die größte Umwälzung in der Kunstgeschichte schlechthin. Über Jahrtausende hinweg hatten sich die Maler und Bildhauer an der Wirklichkeit orientiert und in ihren Werken mehr oder weniger naturgetreu Menschen, Landschaften oder Tiere abgebildet. Die abstrakte Kunst löste sich von dieser Idee und befreite die Werke von jeglichem Gegenstandsbezug ("abstrakt-gegenstandslos") bzw. reduzierte die Merkmale eines Objektes auf ein absolutes Minimum ("abstrakt-abstrahierend"). Befreit von der Notwendigkeit, den Gegenständen aus der Wirklichkeit detailgetreu nacheifern zu müssen, interpretieren die abstrakten Künstler die Dinge der Welt völlig neu, verwenden ausschließlich geometrische Formen und Linien oder arbeiten bei der Gestaltung mit gänzlich freien und expressiven Strukturen. Da Objekte als Botschaft und Bildmittelpunkte in den abstrakten Skulpturen und Gemälden nicht mehr vorkommen, gewinnen die Farben, die Formgebung und die Materialien, aber auch der künstlerische Schaffensprozess selbst an Bedeutung.
Abstraktion in der Bildhauerei - Formen ohne Objektbezug
Erste nennenswerte Schritte in Richtung Abstraktion hatte zuerst die Malerei an der Wende zum 20. Jahrhundert gemacht. In der Bildhauerei konnte die Abstraktion erst ab etwa den 1920er-Jahren Fuß fassen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelten sich - teilweise parallel zur Malerei - zahlreiche stilistische Varianten der abstrakten Bildhauerei, wobei sich die verschiedenen Spielarten bisweilen in Philosophie und Konzept deutlich unterscheiden. So setzen die Geometrische Abstraktion und der Konstruktivismus auf eine Formgebung nach strengen theoretischen, teils mathematischen Grundsätzen. Das Informel hingegen distanziert sich von jeglichen festgelegten Formen und Gestaltungsprinzipien und postuliert eine absolute Freiheit in der Gestaltung. Die Werke der Figurativen Abstraktion wiederum fallen nicht ganz so radikal aus und weisen einen wenn auch geringen Wirklichkeitsbezug auf. Ebenfalls häufig nah an der Abstraktion sind die beweglichen Skulpturen der Kinetischen Kunst, Lichtobjekte bzw. -Installationen sowie Objekte für Kunst am Bau. Bei den Materialien sind den Künstlern kaum Grenzen gesetzt. Metalle wie Bronze, Eisen und Stahl eignen sich ebenso wie Holz, Stein, Marmor, Glas, Gips oder Beton. In aktuellen Werken kommen außerdem vermehrt künstliche Werkstoffe wie Fiberglas, Plexiglas, Plastik oder Styropor zum Einsatz. Gerade bei den abstrakten Skulpturen arbeiten viele Künstler auch mit Mischtechniken, die mehrere verschiedene Materialien miteinander verbinden.
Abstrakte Plastik - Herausforderung für Künstler und Betrachter
Die Abstraktion konfrontiert das Publikum mit völlig neuen Formen und Strukturen und hinterfragt traditionelle Wahrnehmungsmuster. Sie überschreitet bewusst Grenzen und fordert noch mehr als die Figuration dazu auf, sich mit einem Werk zu beschäftigen. Da die Möglichkeit, sich an bekannten Formen zu orientieren, bei abstrakten Figuren größtenteils entfällt, machen Assoziationen, Emotionen und Gedanken einen großen Teil des Rezeptionsprozesses aus. Dadurch wird die Betrachtung von abstrakten Skulpturen zu einer höchst subjektiven und individuellen Erfahrung. Von Seiten des Künstlers erfordert es ein hohes Maß an Fantasie und räumlichen Denkvermögen, eine Skulptur abstrakt zu gestalten, denn es gibt keinerlei Vorlage, an die er sich halten könnte. Herausforderung und Chance zugleich stellt die Dreidimensionalität der Skulpturen dar, denn zusätzlich zur Formgebung kommen Raum, Licht und Schatten sowie die Perspektive der Betrachtung zum Tragen. Auch deshalb sind abstrakte Figuren so faszinierend: Jedes Mal, wenn man ein solches Werk betrachtet, lässt es sich neu entdecken.