Expressionismus: Eine Malerei voller Kraft und Emotionen

Expressionismus: Eine Malerei voller Kraft und Emotionen

18.05.2023
ars mundi

Der Expressionismus hat die Kunst der Moderne geprägt wie kaum ein anderer Stil. Seine Künstlerinnen und Künstler entwickelten ein grundlegend neues Verständnis sowohl von der Aufgabe der Kunst als auch von der Bildgestaltung. Sie wollten in ihren Gemälden ihre Empfindungen, Wahrnehmungen und Stimmungen vermitteln und suchten dafür nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen.

Zu den charakteristischen Merkmalen des Expressionismus gehören die Reduzierung der Bildgegenstände auf Grundformen und die Darstellung in kräftigen Farben. Zugleich läutete die Stilrichtung den endgültigen Abschied von der Abbildfunktion der Malerei ein und ebnete damit der Abstraktion den Weg. Wichtige Vertreter des Expressionismus waren Franz Marc, August Macke, Karl Schmidt-Rottluff, Gabriele Münter, Wassily Kandinsky, Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner. Die bahnbrechenden Innovationen des Expressionismus wirkten noch in vielen Epochen des 20. Jahrhunderts nach.

Der Expressionismus sollte den Seelenzustand spiegeln

Der wichtige Verdienst der Künstlerinnen und Künstler des Expressionismus bestand darin, dass sie eine grundlegend neue Philosophie von der Malerei entwarfen. Ihrer Meinung nach sollte sie nicht mehr dazu dienen, die Wirklichkeit möglichst objektiv einzufangen und naturalistisch wiederzugeben. Stattdessen sollte sie die subjektiven Perspektiven, Emotionen und Wahrnehmungen der Malerinnen und Maler spiegeln.

Die Künstlerinnen und Künstler machten damit die Gemälde zu ihren Werkzeugen, um Seelenzustände wie Trauer, Freude, Schmerz, Angst oder auch konkrete Erlebnisse so authentisch und so direkt wie möglich auszudrücken. Damit kopierten sie die Bildgegenstände nicht mehr, sondern machten sie zu Vehikeln für ihre Gefühle und Ansichten. Da damit die Wirklichkeit nicht mehr als Maßstab für eine im Sinne der traditionellen Malerei "richtige" Darstellung der Bildgegenstände dienen konnte, war auch bei der Maltechnik alles erlaubt, was half, das individuelle Befinden zu artikulieren.

Neue Formen der Bildgestaltung

Der Neuentwicklung dieses künstlerischen Konzepts ging voraus, dass sich die späteren Expressionistinnen und Expressionisten nicht mehr in den Anfang des 20. Jahrhunderts herrschenden Traditionen und akademischen Regeln der Malerei wiederfanden. Insbesondere im Impressionismus sahen sie nicht das Potenzial, diejenigen Dinge zum Ausdruck zu bringen, die ihnen wichtig waren. Er erschien ihnen als zu oberflächlich, zu wenig subjektiv geprägt und nicht mehr zeitgemäß.

Zwar hatte der Impressionismus seinerseits bereits die Malerei bedeutend verändert – einige der späteren Expressionistinnen und Expressionisten hatte sogar mit impressionistischen Arbeiten angefangen – aber der neuen Avantgarde reichte dies nicht und sie forschte nach neuen Formen der Bildgestaltung.

Das gesellschaftliche Klima als Motiv im Expressionismus

Neben dem Bedürfnis nach neuen Techniken des künstlerischen Ausdrucks trieben auch die Bedingungen außerhalb der Kunst die radikale Neuerfindung der Malerei voran. Am Beginn des 20. Jahrhunderts stand ganz Europa im Zeichen von strukturellen Veränderungen in Gesellschaft und Politik. Im Zuge von technischem Fortschritt, Industrialisierung und nicht zuletzt dem Ersten Weltkrieg verschärfte sich die politische, wirtschaftliche und soziale Lage. Die vermeintliche Idylle Ende des 19. Jahrhunderts wich nun einer Atmosphäre aus Sorge um die Zukunft, urbaner Anonymität und sozialen Konflikten. Dieses raue gesellschaftliche Klima griffen die Kunstschaffenden auf und thematisierten es sowohl explizit als auch implizit in ihren Gemälden.

Der Expressionismus und seine Merkmale

Der Expressionismus und seine Merkmale

Der neu formulierte Anspruch an die Malerei, das Innerste des Menschen auszudrücken, brachte auch fundamentale Veränderungen für die Maltechnik mit sich. Die Art und Weise, wie die Künstlerinnen und Künstler die neue Philosophie an der Leinwand umsetzten, unterschied sich allerdings zum Teil erheblich. Ihnen allen aber war gemein, dass sie konsequent einen Trend fortsetzten, der Ende des 19. Jahrhunderts vor allem im Impressionismus begonnen hatte: der Abschied von der naturalistischen Darstellung der Motive.

Bei der Wahl von Farben und Formen sahen sich die Künstlerinnen und Künstler nicht mehr an die Wirklichkeit gebunden und sie konnten die Motive so ausgestalten, wie sie sie "fühlten". Eine realistische und detailreiche Ausgestaltung der Bildgegenstände spielte keine Rolle mehr. Stattdessen reduzierten die Malerinnen und Maler die Motive oft bis auf ihre Grundstrukturen, verfremdeten sie zum Teil erheblich und gingen sogar bis an den Rand der Abstraktion.

Dabei arbeiteten sie mit kräftigen Farben, die sie in großen Flächen auftrugen und oftmals in scharfe Kontraste zueinander setzten. Auch die Kolorierung ordneten die Künstlerinnen und Künstler völlig frei zu und malten zum Beispiel menschliche Gesichter in Blau oder Kühe in Gelb. Diese Kombination an Merkmalen des Expressionismus sorgt für einen emotionalen und dynamischen, manchmal aber auch befremdlichen bis verstörenden Bildeindruck.

Obwohl sich die Expressionistinnen und Expressionisten von einer realistischen Darstellung mehr und mehr verabschiedeten, blieben sie grundsätzlich der gegenständlichen Malerei verpflichtet. Häufige Motive des Expressionismus waren zum Beispiel Großstadtszenen, Tierdarstellungen, Landschaften, Akte, Stillleben und Porträts. Historische Szenen, prominente Persönlichkeiten oder biblische bzw. mythologische Themen hingegen spielten kaum eine Rolle.

Von der Renaissance bis zur afrikanischen Kunst: Die Vorbilder des Expressionismus

Auch wenn die Expressionistinnen und Expressionisten hinsichtlich der Theorie und der Gestaltung sehr progressive Wege gingen, hatten sie durchaus einige Bezugspunkte und Inspirationsquellen in anderen Epochen bzw. bei anderen Künstlern und Künstlerinnen. So distanzierten sich bereits die Kunstschaffenden des Impressionismus und – ab der Jahrhundertwende – auch die des Symbolismus und des Fauvismus von der wirklichkeitsnahen Abbildung der Welt.

Zu den Wegbereitern des Expressionismus zählten darüber hinaus Maler wie Paul Gauguin, Vincent Van Gogh oder Edvard Munch, die die Realität mehr interpretierten als realistisch darstellten. Vorbilder für ihre Ausdrucksmittel fanden die Expressionistinnen und Expressionisten außerdem bei anderen Kulturen zum Beispiel aus Afrika oder dem Pazifikraum, die in ihren Masken und Skulpturen die natürlichen Formen der Gegenstände bereits stark reduzierten. Wegen seiner simplen, aber sehr ausdrucksstarken Bildsprache entdeckten die Künstler und Künstlerinnen des Expressionismus außerdem auch den Holzschnitt für sich, wie er erstmals von Albrecht Dürer oder Lucas Cranach dem Älteren zur Zeit der Renaissance in der bildenden Kunst eingeführt worden war.

Der Expressionismus in Deutschland

Tendenzen des Expressionismus in der Malerei gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern Europas, zum Beispiel in Österreich, Frankreich und insbesondere in Deutschland. Aus Dresden und dem Raum München stammten zwei Künstlergruppierungen, die die wesentliche Pionierarbeit für den Expressionismus leisteten und diesen Stil nachhaltig prägten: "Brücke" und "Der Blaue Reiter".

Die Künstlergemeinschaft "Brücke"

Bereits im Jahr 1905 gründeten die Dresdner Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl ihre Künstlergemeinschaft "Brücke", zu der später weitere heute berühmte Künstler wie Max Pechstein oder Emil Nolde hinzustießen. Die "Brücke" löste sich im Jahr 1913 auf, doch ihre Künstler blieben auch in den Folgejahren höchst aktiv.

Der Künstlerverband "Der Blaue Reiter"

Als ein fester Künstlerverbund wie "Brücke" war "Der Blaue Reiter" hingegen niemals gedacht. Vielmehr hatten sich Franz Marc und Wassily Kandinsky in einer Redaktionsgemeinschaft zusammengetan, um theoretische Schriften zu veröffentlichen und Ausstellungen zu organisieren. Ihre Grundsätze und Ideen hatten sie in einem Almanach mit dem Titel "Der blaue Reiter" festgehalten. Unter diesem Titel organisierten Marc und Kandinsky auch zwei große Ausstellungen, in denen neben ihren eigenen Werken unter anderem die von Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin, August Macke, Robert Delaunay und Gabriele Münter gezeigt wurden. 1914 beendeten Marc und Kandinsky ihre gemeinsame Arbeit aber bereits wieder.

Bis heute ist der Expressionismus in der Kunstwelt sehr präsent

Bis heute ist der Expressionismus in der Kunstwelt sehr präsent

Mit seinen revolutionären Innovationen beeinflusste der Expressionismus maßgeblich sowohl die Kunst seiner Zeit als auch die des gesamten 20. und 21. Jahrhunderts. Mit vielen Stilen am Beginn des 20. Jahrhunderts wie Futurismus, Kubismus und Dadaismus gab es einen sehr produktiven Austausch, aber der Expressionismus ebnete auch vielen Epochen der folgenden Jahrzehnte den Weg. Sein Einfluss lässt sich unter anderem bei Künstlerinnen und Künstlern von Surrealismus, Abstraktem Expressionismus, Neuer Sachlichkeit, Informell, Neoexpressionismus und Neuen Wilden erkennen.

Der Expressionismus hatte als avantgardistische Bewegung begonnen und wurde in seinen Anfangstagen noch von vielen Zeitgenossen kritisch gesehen. Heute hingegen werden seine Werke als bedeutender Beitrag zur Kunst der Moderne und zur Entwicklung der Malerei insgesamt anerkannt.

Heute: Expressionistische Malerei erzielt Höchstpreise

Die Ausstellungen zu "Brücke" und "Der blaue Reiter" erweisen sich regelmäßig als Publikumsmagneten und die Werke ihrer wichtigsten Künstlerinnen und Künstler werden zu Höchstpreisen gehandelt. Auch als Reproduktionen sind berühmte Motive des Expressionismus wie Franz Marcs "Blaues Pferd I" oder Wassily Kandinskys "Gelb Rot Blau" sehr beliebt.

In vielen bedeutenden Sammlungen der Welt befinden sich Werke dieses Stils, zum Beispiel im Museum of Modern Art in New York, in der Tate Modern in London und dem Musée d'Orsay in Paris. Außerdem widmen sich verschiedene Museen der Expressionismus Epoche bzw. ihren Protagonisten, zum Beispiel das "Kirchner Museum" in Davos, das "Brücke-Museum" in Berlin, das "Münter-Haus" in Murnau oder das "Franz Marc Museum" in Kochel am See.