Paula Modersohn-Becker: Eine Ikone der klassischen Moderne

Paula Modersohn-Becker: Eine Ikone der klassischen Moderne

23.03.23
ars mundi

Nur wenige Künstlerinnen und Künstler verkörpern den Aufbruch der Malerei in die Moderne so sehr wie Paula Modersohn-Becker (1876-1907). An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte sie bereits einige wesentliche Elemente des Expressionismus in ihren Malstil integriert – da steckten in Deutschland die einschlägigen Künstlergruppierungen "Brücke" (ab 1905) und "Blauer Reiter" (ab 1911) bestenfalls noch in den Kinderschuhen.

Modersohn-Becker, die nur 31 Jahre alt wurde, schuf in den knapp 10 Jahren ihrer künstlerischen Karriere über 700 Gemälde und etwa 1500 Zeichnungen. Mit ihren außerordentlichen Werken voller Kraft und Sensibilität inspiriert sie bis heute Malerinnen und Maler. Doch nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Mensch dient Paula Modersohn-Becker vielen als Vorbild. Mit Mut und Entschlossenheit verfolgte sie ihr Ziel, Künstlerin zu werden – auch gegen gesellschaftliche und familiäre Widerstände.

Paula Modersohn-Becker: Bild "Knabe am Weg unter Birken"

London, Berlin, Worpswede, Paris: Wichtige Stationen im Leben von Paula Modersohn-Becker

Die künstlerische Entwicklung von Paula Modersohn-Becker ist eng verbunden mit einigen Orten in ganz Europa. Von ihrer Geburtsstadt Dresden zog sie 1888 mit ihrer Familie nach Bremen. Ihr Interesse für die Malerei war hier bereits geweckt. Bei einem siebenmonatigen Aufenthalt in London erhielt sie in einer privaten Kunstschule ihren ersten Unterricht im Malen und Zeichnen. Nach der Rückkehr nach Bremen besuchte sie auf Wunsch ihrer Eltern ein Lehrerinnenseminar, belegte aber parallel weiterhin Mal- und Zeichenkurse.

Den nächsten großen Schritt in ihrem künstlerischen Werdegang konnte sie 1896 machen, als sie einen Kurs an der Zeichen- und Malschule im "Verein der Berliner Künstlerinnen" absolvieren konnte. Es folgte eine eineinhalbjährige Ausbildung in Porträt-, Akt- und Landschaftsmalerei bei verschiedenen Berliner Malern.

1897 besuchte sie dann erstmals Worpswede, wohin sie ab 1898 übersiedeln sollte. Dieser Ort im Teufelsmoor brachte sowohl privat als auch künstlerisch große Veränderungen für Modersohn-Becker. Hier traf sie auf ihren späteren Ehemann, den Maler Otto Modersohn, und fand in der Worpsweder Künstlerkolonie eine Umgebung, in der sie ihre Kunst weiterentwickeln konnte.

Entscheidende Impulse für die Malerei

Die entscheidenden Impulse für ihre progressive Idee von der Malerei erhielt Paula Modersohn-Becker aber vor allem in Paris, das sie im Jahr 1900 erstmals besuchte. Insgesamt vier Mal reiste sie in die französische Hauptstadt. Hier belegte sie Kurse an verschiedenen Kunstschulen, unter anderem an der École des Beaux-Arts Paris, an der Académie Julian und der Académie Colarossi. Außerdem konnte Modersohn-Becker in der Kunstmetropole die Werke der führenden Köpfe der Avantgarde in Europa wie Vincent van Gogh, Paul Cézanne oder Paul Gauguin studieren.

Paula Modersohn-Becker: Bild "Junges Mädchen mit gelben Blumen"

Sowohl mit ihrem Stil als auch bei der Motivwahl bewies sie großen Mut

Der Name Paula Modersohn-Becker steht heutzutage sinnbildlich für den frühen Expressionismus. Doch als sie als Jugendliche begann, sich für die Malerei zu interessieren, war an diesen avantgardistischen Malstil in Deutschland noch kaum zu denken. In ihren frühen Arbeiten orientierte sie sich noch an den anderen zu dieser Zeit populären Stilen wie dem Impressionismus, dem Realismus und dem Jugendstil.

Aber je länger sie sich mit der Malerei beschäftigte, desto weiter entfernte sie sich von der naturalistischen Darstellungsweise. Sie suchte bei ihren Motiven nach den charakteristischen Merkmalen und brach sie auf vereinfachte Formen in kräftigen Farben herunter. Inspiration und Unterstützung für ihre Malweise fand sie in den Werken von Künstlern wie Cézanne, van Gogh, Gauguin, Rousseau oder Munch.

Bildthemen interpretierte Paula Modersohn-Becker auf ungewöhnliche Weise

Ihren neuen Malstil wandte Modersohn-Becker auf alle ihre Bildthemen an. Sowohl Porträts und Landschaften als auch Stillleben und Selbstbildnisse interpretierte sie in einer für ihre Zeit ungewöhnlichen Weise. Doch nicht nur in ihrem Malstil erwies sie sich als fortschrittlich, sondern auch bei der Wahl der Motive. So widmete sie sich in ihren Porträts oftmals den ganz einfachen Menschen, die sonst selten in der Malerei eine Rolle spielten, zum Beispiel Armen, Alten, Kindern, Müttern oder Bauern. Diese stellte sie zudem sehr authentisch und ohne sie zu beschönigen dar.

Einen wahren Tabubruch leistete sich Modersohn-Becker aber damit, dass sie Akte malte – sowohl von Frauen als auch Männern. Um die Jahrhundertwende verstieß sie damit – vor allem als Frau – gegen jegliche Regeln. Auf die Spitze trieb sie es als sie begann, Akt-Selbstbildnisse anzufertigen. Dies hatte – nach einhelliger Meinung in der Kunstgeschichte – noch keine Malerin vor ihr gewagt.

Paula Modersohn-Becker: Bild "Stillleben mit Tulpen in blauem Topf"

Gegen alle Widerstände verfolgte sie ihren Lebenstraum

Dass Paula Modersohn-Becker Akte und Selbstakte malte, ist ein Beleg dafür, wie mutig und kompromisslos sie ihren eigenen Weg ging – sowohl als Frau als auch als Künstlerin. Immer wieder kollidierte sie dabei mit den gesellschaftlichen Konventionen.

Schon als Jugendliche zeigte sie großes Interesse für die Malerei, doch ihre Eltern erlaubten keine künstlerische Ausbildung. Ihren Traum, Malerin zu werden, gab sie dennoch nicht auf. Gerne hätte sie an einer Kunstakademie studiert, doch das war Frauen Ende des 19. Jahrhunderts noch grundsätzlich untersagt. So belegte sie auf eigene Faust Kurse an verschiedenen Malschulen und erarbeitete sich auf diesem Wege eine professionelle künstlerische Ausbildung. Von den tradierten Maximen der Malerei entfernte sie sich mehr und mehr und entwickelte ihren eigenen Stil. Mit diesem stieß sie allerdings überwiegend auf Ablehnung.

Vernichtende Kritik nach Gruppenausstellung in Bremen

Als sie 1899 ihre Werke in einer Gruppenausstellung in Bremen zeigte, musste sie anschließend in der Weser-Zeitung eine vernichtende Kritik lesen. Nur ihr Mann, Otto Modersohn, hielt anfänglich zu ihr und förderte ihre Arbeit. Doch ab 1905 entwickelte auch er sich zu einem scharfen Kritiker und bemängelte ihre Konzentration auf die Form sowie ihre primitive Darstellungsweise. Der Gegenwind, den sie aus vielen Richtungen aushalten musste, führte schließlich dazu, dass sie sich gänzlich aus der Öffentlichkeit zurückzog – aber sie hörte nicht auf zu malen.

Paula Modersohn-Becker bewies auch Mut und Konsequenz in anderen Lebensbereichen

Schon als Jugendliche hatte sie ein Hausfrauendasein für sich ausgeschlossen. Als sie später als verheiratete Frau ohne ihren Ehemann nach Paris reiste, wurde dies von ihrem Umfeld mit äußerster Skepsis, wenn nicht sogar als "krankhaft" betrachtet. Auch dass sie sich phasenweise ganz von Otto Modersohn trennte, galt für viele als Affront. Letztlich konnten aber weder das mangelnde Interesse des Publikums noch die gesellschaftlichen Zwänge Paula Modersohn-Becker davon abhalten, sowohl ihre Vision von der Kunst als auch ihren Lebensentwurf umzusetzen.

Paula Modersohn-Becker: Bild "Elsbeth zwischen Feuerlilien"

Paula Modersohn-Becker heute: Gefeierter Star des Expressionismus

Viele ihrer Zeitgenossen hielten Paula Modersohn-Beckers Gemälde für deutlich zu progressiv. Lediglich drei ihrer Werke soll sie zu Lebzeiten verkauft haben. Heutzutage hingegen wird sie für ihre couragierte Art und ihre Pionierleistung für den Expressionismus allerorten gefeiert.

Bereits kurz nach ihrem Tod begannen sich vermehrt Ausstellungshäuser für ihre Arbeit zu interessieren. Außerdem nahmen zahlreiche private und öffentliche Sammlungen ihre Werke in ihren Bestand auf, darunter das

Große postume Ehre wurde ihr außerdem 1927 zuteil, als mit dem "Paula Modersohn-Becker Museum" in Bremen das weltweit erste Ausstellungshaus eröffnete, das dem Werk einer Frau gewidmet war.

Auch im 21. Jahrhundert erfreuen sich ihre Gemälde und Zeichnungen immer noch größter Beliebtheit

Regelmäßig finden in renommierten Kunsthäusern Ausstellungen mit ihren Werken statt, zum Beispiel 2015 im "Louisiana Museum of Modern Art" in Humlebæk bei Kopenhagen, 2016 im "Musée d´Art moderne de la Ville de Paris" oder 2021 in der "Schirn Kunsthalle" in Frankfurt am Main.

Im Jahr 2017 kam der Film "Paula" in die Kinos, der auf ihrer Lebensgeschichte basiert. Außerdem vergibt der Landkreis Osterholz alle zwei Jahre einen "Paula Modersohn-Becker-Kunstpreis". Bald 150 Jahre nach ihrer Geburt ist Paula Modersohn-Becker heute also präsenter denn je.