Wiener Secession – Die Pioniere der österreichischen Avantgarde

Wiener Secession – Die Pioniere der österreichischen Avantgarde

31.03.22
ars mundi

"Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit": So lautete der Wahlspruch der "Wiener Secession" – jener Künstlervereinigung, die an der Wende zum 20. Jahrhundert nicht nur die Kunst in Österreich, sondern in ganz Europa nachhaltig beeinflussen sollte. Rund 50 Künstler, Architekten und Designer hatten sich 1897 in Wien zusammengefunden, um dem konservativen Establishment ein modernes Verständnis von Kunst entgegenzusetzen. Sie planten eine radikale Erneuerung, die die Kunst Wiens progressiv, mutig und offen für alle Stile und Entwicklungen machen sollte.

Ein Plädoyer für ein modernes Denken in der Kunst

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert befand sich die Kunst in vielen Ländern Europas im Aufbruch. Vielerorts entstanden Künstlervereinigungen, die mit der traditionellen Auffassung von bildender Kunst brechen wollten. So auch in Österreich. Hier hatte zu dieser Zeit die konservative "Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens" maßgeblich die Leitlinien für die Kunstpolitik vorgegeben. Doch viele junge Wiener Künstler konnten mit dem stark akademischen und dem Historismus verpflichteten Kunstverständnis der "Genossenschaft" nichts anfangen und sahen sich - insbesondere bei Ausstellungen - nicht mehr repräsentiert. Als Reaktion gründeten am 3. April 1897 etwa 50 progressive Künstler, Architekten und Designer, darunter Gustav Klimt, Koloman Moser, Otto Wagner, Josef Hoffmann, Joseph Maria Olbrich und Carl Moll, eine unabhängige Künstlervereinigung mit dem Namen "Wiener Secession". Ihr Ziel war eine moderne Kunstpolitik, die sowohl die Avantgarde des eigenen Landes als auch internationale Künstler berücksichtigen sollte. Als Leitbild diente ihnen dabei der Jugendstil.

Der "Secessionsstil" – Jugendstil auf österreichisch

Stilistisch sahen sich die Wiener Secessionisten dem im Europa der Jahrhundertwende zunehmend populären Jugendstil verpflichtet. Charakteristisch für diese Bewegung war die Idee der Einheit von bildender Kunst, Architektur, Handwerk und Design. Die Kunst sollte nicht mehr nur in Museen stattfinden, sondern im Alltag der Menschen allgegenwärtig sein. Das Konzept hatte seinen Ursprung in der britischen "Arts and Crafts"-Bewegung. Man setzte auf eine hohe Qualität und sah die Massenproduktion kritisch, die aufgrund der Industrialisierung möglich wurde. Die Gestaltungsweise des Jugendstils war modern und aufgeschlossen, zugleich rückte die Natur als Vorbild wieder in den Mittelpunkt. Die typischen Merkmale waren florale Motive und Ornamente, außerdem sowohl fließende Linien als auch geometrische und abstrakte Verzierungen. Diese gestalterischen Elemente wurden auf die verschiedensten Genres angewandt – auf Gemälde und Skulpturen ebenso wie auf Architektur, Möbel, Schmuck oder Glaswaren. Durch die starke Prägung des Jugendstils durch die Wiener Secession wurde diese Gestaltungsweise in Österreich bald auch nur noch als "Secessionsstil" bezeichnet. Außerdem entwickelte sich Wien infolge der regen Aktivitäten der Secession innerhalb weniger Jahre zu einem europäischen Zentrum des Jugendstils.

Eine Infrastruktur für die Moderne: Ein Ausstellungshaus, eine Kunstzeitschrift und jede Menge Ausstellungen

Die Secessionisten machten sich nach ihrer Gründung umgehend an die Arbeit. Bereits im Jahr 1898 wurden die ersten wichtigen Weichen gestellt: Man organisierte die erste Gruppenausstellung in Wien, ein eigenes Ausstellungshaus wurde nach Entwürfen des Architekten Joseph Maria Olbrich erbaut und es erschien erstmals die Kunstzeitschrift "Ver Sacrum", die zum zentralen Organ der Secession wurde. Hier wurden nicht nur Beiträge von Vertretern des Wiener Jugendstils veröffentlicht, sondern auch von avantgardistischen Dichtern und Literaten aus dem In- und Ausland. Der Schwerpunkt der Arbeit der Seccesionisten aber lag in der Organisation von Ausstellungen – sowohl unter Beteiligung von inländischen, als auch von ausländischen Künstlern. So stellten sie im Jahr 1900 erstmals die englische "Arts and Crafts"-Bewegung einer breiten Öffentlichkeit vor. Es folgten Ausstellungen unter anderem zu altjapanischer Kunst oder zu den französischen Impressionisten. Zu den bis heute bekanntesten Veranstaltungen gehört die "Beethovenausstellung" aus dem Jahr 1902. Für den großen Komponisten hatte Josef Hoffmann eine – heute würde man wohl sagen – Multimediaschau konzipiert, mit Gemälden, Mosaiken, Reliefs, Skulpturen und Möbeln von 20 Secessionskünstlern. In diesem Rahmen wurden sowohl Gustav Klimts berühmter, 34 Meter langer Beethovenfries als auch Max Klingers Beethoven-Skulptur gezeigt.

1905: Spaltung der Wiener Secession

In ihrer ursprünglichen Form hatte die Wiener Secession nur bis 1905 bestand. In diesem Jahr hatten zahlreiche Künstler und Architekten, darunter Gustav Klimt, Koloman Moser und Carl Moll, die Künstlervereinigung, die sie zum Teil selbst mitgegründet hatten, verlassen. Ausschlaggebend für das Zerwürfnis sollen Meinungsverschiedenheiten über die künstlerische Ausrichtung gewesen sein, wobei sich die Angaben über die konkreten Gründe je nach Quelle unterscheiden. Mal wird der als zu naturalistisch empfundene Stil genannt, mal soll es um die Frage gegangen sein, welche Rolle das Kunstgewerbe im Konzept der Secession spielen solle. Für die Wiener Secession war die Austrittswelle ein großer Verlust. Die abtrünnigen Secessionisten gründeten nach der Trennung eine neue Künstlergemeinschaft, die unter dem Namen "Klimt-Gruppe" bekannt wurde und ihrerseits ebenfalls höchst erfolgreich arbeitete, u.a. mit Egon Schiele und Oskar Kokoschka.

Die Wiener Secession heute

Der Geist der Wiener Secession lebt bis heute fort. Die "Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession" steht ganz in der Tradition der legendären Vorgängerin und betreibt an dem alten Standort der Wiener Secession ein Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst von weltweitem Rang. Wie damals ist das Haus auch heute noch unabhängig und ausschließlich der künstlerischen Avantgarde gewidmet. In jährlich 10 bis 15 Ausstellungen soll hier den aktuell relevanten Entwicklungen der internationalen und österreichischen Kunst Raum gegeben werden. Unter den Künstlerinnen und Künstlern, die in den letzten Jahrzehnten hier gezeigt wurden, waren unter anderem Peter Doig, Ed Ruscha, Anthea Hamilton, Nicole Eisenman, James Lee Byars, Sarah Lucas, Thomas Hirschhorn und Albert Oehlen.